Donnerstag, 27. Juni 2019

Pieter



St. Petersburg ist die schönste Stadt
auf dem Antlitz der Erde.“

Joseph Brodsky



In den nächsten zwei Tagen wollen wir feststellen, ob er Recht hat oder ob dieser Satz einem Gefühl von Heimat entsprungen ist, denn Joseph Brodsky ist in St. Petersburg geboren.

Als morgens um 3.00 Uhr unser Wecker klingelt, hält sich unsere Begeisterung noch in Grenzen, aber es funktioniert.
Entspannt fahren wir durch die Vororte und breiten Boulevards über die Aleksander-Newski-Brücke und finden gleich dahinter einen großen, eingezäunten völlig leeren Parkplatz. Die Schranke geht auf Knopfdruck hoch, wir ziehen eine Karte und suchen uns einen Platz. Es ist halb Fünf, wir machen nochmal die Augen zu. Als die Sonne höher steigt, frühstücken wir und machen uns fertig für den ersten Stadtbummel.


Im Häuschen an der Ausfahrt finden wir einen Pförtner, der sogar Englisch spricht. Viele Jahre sei er auf Segelschiffen um die Welt gefahren, nun ist er Sechzig, Zeit nach Hause zu kommen. Autos zu bewachen ist genauso gut, wie jeder andere Job, sagt er.
Für 300 Rubel pro Tag dürfen wir hier, mit Blick auf die Newa stehen. Ein Schnäppchen.
Gleich um die Ecke beginnt die Prachtstraße Pieters, der Newski Prospekt, der sich bis zur Eremitage hinzieht.
Wir laufen also los. Die Stadt ist jetzt schon voller Menschen, die Grünphasen der Ampeln setzen wahre Völkerwanderungen in Gang.
Und wahrlich, hier reihen sich die Prachtbauten aneinander, geschmückt mit reichlich Stuck und Figuren, Türmchen und Erkern, dass man garnicht weiß, wohin man zuerst gucken soll.





Man ist auf die Touristen vorbereitet. An jeder Ecke stehen Anreißer für Sightseeingtouren mit Bussen oder per Schiff. Souvenirläden, Cafès und Restaurants, die großen Modelabel und Schaufenster voller Bernsteinschmuck locken mit Angeboten, für jeden ist etwas dabei.
Wir belassen es beim Schauen.
Pflaster treten macht hungrig. In einem eher schmucklosen großen Haus lädt eine geöffnete Tür ins Souterrain. Dort finden wir ein Selbstbedienungsrestaurant. Das Essen, wie das Lokal, ist volkstümlich, einfach, schmackhaft und preiswert.



Gestärkt schwimmen wir weiter mit dem Menschenstrom und gelangen zur Eremitage. Was für ein prächtiger Bau!
Schon immer habe ich mir gewünscht, einmal St. Petersburg zu sehen und nun stehen wir vor diesem legendären Gebäude.




Auf dem weitläufigen Platz wird eine riesige Bühne aufgebaut und ebensolche Lautsprecher installiert.


Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Morgen wird in der Stadt traditionell die größte Schulabschlussfeier des ganzen Landes stattfinden. Schon jetzt hören wir auf den Straßen und dem Platz die ersten Bands ihr Können zu Gehör bringen.
Der Höhepunkt dieser Feier ist jedes Jahr die Einfahrt eines großen Segelschiffes mit scharlachroten Segeln auf der Newa. Es symbolisiert den Aufbruch der jungen Menschen mit vollen Segeln in ihr Leben als Erwachsene.


Wir hatten nicht geplant an diesem Tag in der Stadt zu sein, aber nun ist es doch spannend dabei zu sein.
Ich zumindest habe allerdings für heute genug.
Für den Rückweg suchen wir die nächste Metrostation. Sie fügen sich nahtlos in die Fassaden der prächtigen Paläste, aber wir haben die relativ kleinen Schilder schon auf dem Hinweg entdeckt.
Fahrkarten in unserem Sinne gibt es hier nicht. Wer keine Chipkarte zum aufladen hat, bekommt an der Kasse Jetons, die in die Schlitze an den Schranken gesteckt werden.


Eine Fahrt kostet 45 Rubel.
Es dauert ein bisschen ehe wir das raus haben, aber überall stehen hilfreiche Geister und so stehen wir bald an der langen Rolltreppe. Tief geht es in den Bauch der Erde hinunter. Das dauert länger als von einer Station zur nächsten.


Wir landen in einem Tunnel mit lauter Blechtüren in gleichmäßigen Abständen. Davor stehen Leute. Geht es hier zu den Bahnsteigen?



Nee, wir sind schon auf dem Bahnsteig. Es rauscht und zischt, die Türen öffnen sich und dahinter erblickt man die sich im nächsten Moment öffnenden Türen des Zuges. Der Zug selber und die Gleisanlagen bleiben den Blicken hinter einer Wand verborgen.




Wie wir später feststellen, ist das nur auf der neuen Linie so. Auf den älteren ist es wie gewohnt. Die erste Linie wurde 1955 eröffnet.
Zwei Stationen, dann sind wir an der Newski-Brücke. Von dort sind es noch 500 Meter bis zu unserem WoMo.
Es steht immer noch mutterseelenallein auf dem großen Parkplatz. Wir können uns das nicht erklären. Vielleicht füllt er sich erst morgen zur großen Party? Aber letztendlich ist es uns egal, wir stehen hier relativ ruhig und sicher.F
Rüdiger macht sich nochmal mit dem Fahrrad auf zu einer eigenen kleinen Stadtrundfahrt.

Am Sonntag beginnen wir den Tag mit ein paar Runden Metro. Die prunkvollen Stationen, die der Reiseführer beschreibt, wollen wir unbedingt sehen. Und wir werden nicht enttäuscht.





Von der letzten Station, dem Leninplatz, schlendern wir vorbei am legendären Panzerkreuzer Aurora


zur Peter und Paul Festung auf der Haseninsel.




Dann schauen wir sie uns noch einmal von der Uferpromenade an.


Das Highlight unserer Reise, unseres Aufenthaltes in St. Petersburg und dieses Tages steht unmittelbar bevor.
Vor Monaten schon haben wir Tickets gebucht für ein Konzert von Beth Hart, einer Rock- und Blues Sängerin, die wir schon einmal vor einigen Jahren in Deutschland erlebt haben. An diesem Sonntagabend spielt sie in der Oktjabrska Konzerthalle.



Solche Konzerte haben auch in Russland ihren Preis und so sitzen wir auf dem Balkon.


Beth ist in Hochform, das Konzert einfach großartig. Die elegante Dame neben mir, die zunächst auf mich wirkt, als sei sie im falschen Konzert und habe sich eher für die Oper ausstaffiert, kennt alle Texte. Nicht etwa, dass sie laut mitsänge, nein, sie bewegt nur lautlos die Lippen. Niemand in unserer Sichtweite bewegt mehr. Das russische Publikum sitzt vollkommen still mit unbewegten Gesichtern. Wie kann das sein? Ich kann mich kaum auf meinem Platz halten, aber um mich herum sitzt man, als gäbe es Schumann-Lieder zu hören. Allerdings bricht schon nach dem ersten Song frenetischer Beifall los. Die Begeisterung ist also vorhanden, wird aber anscheinend erst nach dem Vortrag geäußert. Das ist wohl ein Ausdruck von Respekt und Höflichkeit.
Am Ende wird die Künstlerin bejubelt.
Es ist noch früh am Abend, das Konzert begann um 19.00 Uhr, und wir machen uns auf zum Newski Prospekt um das Scharlachrote Segel nicht zu verpassen.
Aber es kommt anders als geplant. Zunächst ist die Strecke weiter als gedacht. Als wir dann an dem großen Boulevard ankommen ist dort schon richtig Party. Überall haben sich Kreise um Musiker und Gaukler gebildet. Wir eilen vorbei, das Schiff soll um 22.00 Uhr einlaufen.
Und plötzlich stehen wir vor einer Barrikade.


Einen Kilometer vor der Eremitage ist die Straße gesperrt, Einlass nur mit Tickets. Das haben wir nicht gewusst.
Nach einem Moment der Enttäuschung beschließen wir, das Beste daraus zu machen und schlendern auf der temporären Fußgängerzone herum.
Es gibt einiges zu sehen. Ein Peitsche schwingender Entertainer unterhält das Publikum prächtig,




ein junger Mann hat sich anscheinend gründlich in seiner Küche umgesehen und ein Sortiment Percussion Instrumente gefunden,


ein älterer Herr versucht mit russischen Evergreens Leute anzulocken.


Beliebt ist ein Foto mit weißen Tauben, es gibt sogar zahme Eulen
Ein muskulöser Typ mit Keyboard und einem Schlagzeuger hat anscheinend eine richtige Fangemeinde. Es wird gehüpft, getanzt und vor allem mitgesungen. Auch wenn wir kein Wort seines Sprechgesangs verstehen, es macht Spaß dabei zu sein.


Es ist fast Mitternacht und gerade mal dämmerig, als wir feststellen, dass uns die Füße weh tun und es nun auch genug ist.
Die Metro fährt an diesem besonderen Tag die ganze Nacht durch, so kommen wir schnell und bequem nach Hause.

St. Petersburg hat uns bezaubert, wir können uns noch nicht trennen. Wir gönnen uns noch einen halben Tag und machen einen Streifzug durch die historischen Warenhäuser.

Das Gostinij Dvor, 1761-1785 gebaut, ist das Älteste. Ein Kilometer Fassadenlänge macht es auch zum Größten. Der zum Weltkulturerbe erklärte Bau umfasst einen ganzen Block.


Seit 1965 gibt es in seinen Mauern auch eine Metrostation. Wir fahren also direkt dorthin und landen zuerst in der Spielzeugabteilung. Hier finden wir endlich das lang gesuchte Modellauto des UAS Kleinbusses, der hier liebevoll Buchanka genannt wird, was übersetzt soviel wie Brötchen oder Brotlaib heißt. Und so sieht er auch aus, wie ein Brotlaib auf hochbeinigen Rädern.




Robust und mit Allradantrieb versehen, wird er seit 1965 im Uljanowsker Autowerk fast unverändert bis heute gebaut.
Für Rüdiger und einige Allradfreaks ein Kultauto.
Wir kaufen die drei Exemplare die vorrätig sind und ich habe einen strahlenden Mann an meiner Seite. Wie so oft bedarf es nicht viel, um einen Menschen glücklich zu machen.

Wir schlendern durch die neueste Mode und Porzellan, Schmuck und Kosmetik, es gibt sogar eine Pelzabteilung. Auweia!




Gleich gegenüber befindet sich die Passage. 1848 als Elitekaufhaus gegründet, ist die Fassade eher unauffällig, nur ein kleines Messingschild zeigt an, dass wir richtig sind.
Hinter den Türen aber erstreckt sich eine Licht durchflutete Passage mit Boutiken und Schönheitssalons.
Hier gibt es Bänke mit WiFi Hotspots und Steckdosen, ein Cafè und schlichte Eleganz. Das Licht kommt aus einem gläsernen Spitzdach.


Zum Abschluss besuchen wir noch das Singer Haus, ein edler Feinkostladen.






Da die teuren Häppchen uns nicht wirklich satt machen würden, gehen wir ein paar Häuser weiter in das nächste Stolowaja Selbstbedienungsrestaurant. Bodenständig, lecker und preiswert, das entspricht uns schon eher.
Gestärkt brechen wir zu unserer letzten Metrofahrt auf, dann verlassen wir am frühen Nachmittag diese wunderbare Stadt.
Ob sie die schönste ist, wie Brodsky behauptet, können wir nicht beurteilen, wir haben viele noch nicht gesehen, aber eine der schönsten auf jeden Fall.
Uns hat sie es jedenfalls angetan und wir kommen gerne wieder.

Wir haben nur noch fünf Tage, dann läuft unser Visum ab. Unser nächstes Ziel ist nicht weit. Wir haben gelesen, dass man in Velikij Novgorod eine schöne Schiffahrt machen kann.

Also dann, begleitet uns, liebe Freunde!
Bis dann
Doris und Rüdiger



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