Mittwoch, 12. Juni 2019

Mütterchen Wolga

Fahre in die Welt hinaus. Sie ist fantastischer als jeder Traum.
                                                                                  Ray Bradbury


Katharina die Große holte deutsche Siedler nach Russland, 1765 ließen sich einige davon in Alt-Sarepta nieder. Fünfzehn Häuser des ehemaligen Kolonistendorfes sind erhalten und heute ein Freilichtmuseum.


Eingerahmt von hohen Neubaublöcken liegt es still in der heißen Mittagssonne. Die Häuser bilden ein Karree in dessen Mitte sich ein Platz mit einer Stele befindet. Ein Brautpaar posiert davor für die Hochzeitsfotos, sonst ist kein Mensch zu sehen.



Wir wandern einmal rum um das Karree, schauen uns die Häuser von außen an, entdecken den Schaukasten der noch existierenden deutschen evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde, das Museum, das Restaurant. Alle Türen sind geschlossen, niemand ist da.





Also ergänzen wir unsere Vorräte im Supermarkt um die Ecke und kaufen an der Hauptstraße an einem kleinen Stand Erdbeeren, Kirschen und Aprikosen aus dem Garten der Verkäuferin. 



Gleich daneben ist eine Kwas-Bude. Vor einigen Tagen haben wir dieses erfrischende Getränk für uns entdeckt. Also genehmigen wir uns noch einen Becher und fahren zunächst zurück nach Wolgograd.
Für die unter Euch, die es nicht wissen: Kwas wird aus gegorenem Brot gebraut und schmeckt in etwa wie Malzbier, nur nicht so süß und mit einem Schuss Zitrone. Es riecht nach Schwarzbrot und ist sehr erfrischend.


Auf dem großen Parkplatz, wo wir Gisela und Werner getroffen, haben übernachten wir im Angesicht von „Mutter Heimat“.


Die nächsten anderthalb Wochen wird uns Mütterchen Wolga begleiten. Unsere Route führt immer parallel zu ihrem Lauf.



So fahren wir am nächsten Tag von Wolgograd bis Kamyschin und biegen dort ab in das Dorf Dubowka. Es rumpelt ganz schön, aber wir werden belohnt durch einen Traumplatz auf einer Landzunge in einem der vielen kleinen Wolgafjorde. Hier ist die Dorfbadestelle, wir stellen uns einfach dazu, es scheint niemanden zu stören.
Der Blick ist phantastisch.


An dieser Stelle ist die Wolga 7 Kilometer breit. Was für ein mächtiger Fluss!
Direkt unter uns, im Steilufer, nisten viele Schwalbenpärchen. Zu dritt oder viert, oder im ganzen Schwarm flitzen sie durch die Luft, manchmal nur zwei Handbreit an unseren Köpfen vorbei. Darüber kreisen ein paar Möwen, die lauthals lachen, als sie unsere ergriffenen Gesichter sehen. Aus dem Wald gegenüber ruft sehr ausdauernd ein Kuckuck.
Als alle Badegäste weg sind und die Sonne hinter dem Dorf untergeht, ist nichts zu hören, als die Vögel, die Grillen und das Summen und Brummen der Wiesenbewohner. Später bereichern noch ein paar Frösche das Orchester.
Idylle pur.

Am nächsten Morgen frühstücken wir in der Sonne – was geht es uns gut!
Das Dorf liegt still und verlassen da, als wir an den schönen alten Holzhäusern vorbei zurück zur Straße fahren.




In Saratow, einer modernen Großstadt, kaufen wir ein für ein luxuriöses Abendessen. 




Einmal muss es sein: Schampanskoje und Kaviar. Wir bekommen nur roten, aber das tut dem Genuss keinen Abbruch.


Die Idee ist, in Saratow über die Brücke nach Engels zu fahren und dort über die andere Brücke wieder zurück zur Straße nach Samara. Die nächste Brücke gibt’s erst in 150 Kilometern. Wir fitzen uns durch den Verkehr, finden die Auffahrt zur Brücke, da winkt uns 100 Meter vorher ein Polizist heraus.



Nach gründlichem Studium der Papiere erklärt er, wir dürften nicht über die Brücke fahren. Er erklärt es auf Russisch, leider verstehen wir soviel nicht, aber es ist klar, wir müssen umkehren. Dann eben nicht!
Erst später, als wir über seine Worte nochmal nachdenken, ahnen wir, dass es mit unserem Gewicht zu tun hat, also mit dem Gewicht des Autos. Über die Brücke dürfen anscheinend nur Fahrzeuge bis 5t fahren. Wir sind einfach zu schwer.

Also geht es weiter auf der P228.
Mit Hilfe von Google maps habe ich ein Stück hinter Saratow an einem Seitenarm der Wolga einen öffentlichen Strand ausgemacht.
Der Weg dorthin schlängelt sich zunächst durch die schmalen Gassen eines kleinen Dorfes und geht dann in eine Buckelpiste durch den Wald über. Er endet auf einem winzigen Parkplatz, von dem eine marode Holztreppe hinunter zum Wasser führt. Als ich aussteige um Rüdiger beim einparken einzuweisen, sind meine Knöchel in Sekundenbruchteilen von Mücken umschlossen, die auch sofort zustechen. Zeitgleich greift ein Geschwader Hals und Nacken an. Ich wedele wild mit den Armen, was wenig hilft. Es bleibt nur die Flucht. Der Parkplatz ist sowieso zu klein für uns, also springe ich zurück ins Auto und wir rumpeln zurück zur Straße.


Der zweite Versuch ist von Erfolg gekrönt.
Jelschanka ist ein großes Dorf mit einer geteerten Straße und einem Parkplatz an einem öffentlichen Badestrand.


Wir stehen unter jungen Eichen, es gibt zwar auch ein paar Mücken, aber längst nicht so viele.
Als alle anderen Autos abgefahren sind und wir unser Schlemmermahl beendet haben, fährt ein VW T5 auf den Platz. Das Heck ist vollgeklebt mit Landeskennzeichen.
Sieh an, andere Reisende! Dem Bus entsteigt eine junge Familie mit zwei Kindern.
Die Männer kommen schnell ins Gespräch, wir werden umgehend zum Grillen eingeladen. Das wir schon gegessen haben, gilt nicht.
Philip ist Russe, seine Frau Lilian ist in Uganda geboren, lebt seit ihrem achten Lebensjahr hier. Sie fühlt sich als Russin sagt sie. Vladik ist dreieinhalb und ein liebes, aufgewecktes Bürschchen. Er bietet uns die Faltstühle seiner Eltern an und stellt uns seinen kleinen Bruder Jakob vor. Der ist 7 Monate alt, sitzt im Kinderwagen und lächelt mich strahlend an.
Es wird ein sehr schöner Abend. Wir kramen unsere paar russischen Wörter raus, Philip sein eingerostetes Englisch, wir verstehen uns prächtig. Lilian ist zunächst hauptsächlich damit beschäftigt, die Kinder zum Schlafen zu bringen, erst spät setzt sie sich auch zu uns.
Philip möchte gern nächstes Jahr in Deutschland ein gebrauchtes Wohnmobil kaufen. Er glaubt fest an die legendäre deutsche Wertarbeit. Er lädt uns ein, ihn, sollten wir je nach Moskau kommen, zu kontaktieren. Er sei einer der letzten gebürtigen Moskauer. Die Meisten kommen aus allen anderen Landesteilen, sagt er. Das kommt uns doch unheimlich bekannt vor!
Wir tauschen die Telefonnummern aus und bieten natürlich das Gleiche an, sollte er nach Berlin kommen.
Am nächsten Morgen schaut sich die Familie unser WoMo an. Lilian ist sehr angetan, Philip begutachtet alles ganz genau, fragt nach allen technischen Einzelheiten und Vladik klettert mit Begeisterung die Leiter hinauf und hinunter.


Noch ein weiteres Paar hatte gestern gefragt, ob es mal reingucken dürfe, Rüdiger machte eine kleine Führung und dafür zeigten sie ihm auf der Karte eine Quelle ganz in der Nähe.
Unser erster Weg nach dem Abschied von Philip, Lilian und den Jungs, führte uns demzufolge zur „Heiligen Quelle der großen Märtyrerin Paraskeva“, die als Heilige der Ostkirche verehrt wird und im alten Rom gemartert und enthauptet wurde. Sie gilt als Schutzheilige der Blinden.
Wir finden einen Parkplatz, ein paar Stufen geht es hinunter in ein kleines Gärtchen, dass eine Kapelle, ein Badehaus, ein Toilettenhaus und die Quelle beherbergt.




 Vor dem Kirchlein steht eine Spendenbüchse, in die wir natürlich einen Obolus stecken, im Garten picknicken einige, in Badetücher gehüllte Frauen, die uns noch einmal versichern, das Wasser sei von allerbester Qualität. Die alte Frau, die die Aufsicht führt, zieht sich in die Kapelle zurück.


Wir füllen alle Wasserbehälter, die wir haben, einschließlich des WoMo Tanks, genau wie viele Einheimische, die mit Autos voller leerer Flaschen und Kanister anrücken.


Weiter geht’s auf der großen Straße.
Bei Balakowo befindet sich die Staumauer, die die Wolga hier zu einem See anstaut. Dort ist ein Parkplatz eingezeichnet. Wir fahren also über den Damm, aber der Parkplatz gehört zum Betriebsgelände und ansonsten kommt man hier nicht an den Fluss.


Also wieder zurück. Anscheinend brauchen wir immer einen zweiten Versuch.
An der Straße ist ein Cafè eingezeichnet, von dem ein Fahrweg etwa fünfhundert Meter direkt Richtung Stauseeufer führt. Wir versuchen es und finden wieder ein schönes Plätzchen.



Eines Tages in der Zukunft kann man wahrscheinlich Fotos machen, die den Duft und die Geräusche des aufgenommenen Ortes wiedergeben. Leider ist es noch nicht soweit und Ihr müsst Euch mit dem Bild begnügen.
Wir stehen neben einer Wiese voller Blumen und ein süßer Duft nach Honig und Sommer strömt in unsere Nasen und ins Mobil. Sieben Nasen müsste man haben!



Wir wandern den steil abfallenden Pfad Richtung Ufer – und wandern und wandern... das Wasser erreichen wir nicht. 


Überall Steilufer.
Also kehren wir wieder um und begnügen uns mit dem herrlichen Ausblick aus unserem Fenster hoch über dem See und dem wunderbaren Wiesenduft.

Am weit entfernten anderen Ufer zieht ein Industriebau unsere Aufmerksamkeit auf sich. Was kann das sein?
Rüdiger findet die Antwort bei Mr. Google:
Das größte russische Kernkraftwerk ist das in Balakowo. Es hat vier Reaktoren.“ Das ist es also, was wir da sehen.


Unser ruhiger Abend wird vom Rauschen der nahe liegenden Straße untermalt. Allerdings wird es von Vögeln und Grillen fast übertönt.

Morgen geht es nach Samara.

Bis bald, liebe Freunde,
Doris und Rüdiger

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