Sonntag, 26. Februar 2023

Am Tag, als der Regen kam...





In Alfred Hitchcocks berühmten Film „Die Vögel“ beginnen die Angriffe der selbigen, als die Hauptfigur Melanie die Insel betritt. Sie enden, als sie sie wieder verlässt. Anscheinend hängen sie also mit der Anwesenheit dieser jungen Frau und den von ihr mitgebrachten Liebesvögeln zusammen. Das jedenfalls suggeriert Meister Hitchcock dem Zuschauer. Ob es solche Zusammenhänge gibt oder nicht, sei dahingestellt, aber wenn es sie gibt, sind wir wohl Regenmacher. Wie ich zu diesem Schluss komme?

Das letzte Mal waren wir vor fünf Jahren in Marokko. Ich habe die alten Reisetagebücher mitgenommen. In denen ist alle paar Tage von starkem Regen die Rede. Seitdem hat es, nach Aussagen vieler Marokkaner nicht mehr richtig geregnet. Bis jetzt.

Am frühen Montagabend, dem Tag nach unserer Schluchten-Tour beginnt es zu regnen. Ein schöner, märkischer Landregen, wie man so sagt. Es pladdert die ganze Nacht auf unser Dach, regnet am darauffolgenden Tag weiter. Auf dem Platz haben sich Pfützen gebildet, größere und kleine, der trockene, lehmige Boden kann das Wasser gar nicht aufnehmen.



Wir sitzen noch beim späten Frühstück, da werden wir auf eine ungewohnte Unruhe in der Nähe aufmerksam. Wir schauen nach, was da los ist.




Ach, du liebe Güte! Von der geführten Wohnmobilgruppe, die gestern hier ankam, haben sich anscheinend einige Fahrzeuge im Schlamm festgefahren.




Wie es aussieht, nicht nur einige, sondern der größte Teil.

Irgendjemand, vermutlich der Reiseleiter, hat Hilfe gesucht und gefunden. Hassan, einer der Marokkaner, die täglich in recht gutem Deutsch auf den Straßen der Stadt die Touristen ansprechen, hat einen Bagger organisiert. Er scheint das Kommando zu haben, agiert überall gleichzeitig..

Zuerst denken wir, mit unserem Heckantrieb sollten wir da kein Problem haben. Als aber sogar 4x4 Fahrzeuge vom Bagger rausgezogen werden, wird uns doch mulmig.



Wir testen es lieber, solange der Bagger noch hier ist. Sollten wir uns festfahren, wenn er weg ist, kann es schwierig werden. Gesagt, getan!

Schon beim ersten Versuch drehen die Räder unseres Heckantriebs durch, wühlen sich in den Modder.




Rüdiger versucht es zunächst mit Schaufel und Sandbords, leider ohne den geringsten Erfolg.






Hassan hat die Situation bereits erfasst. Er fragt, ob wir Hilfe brauchen, dirigiert auf unser „Ja“ den Bagger herüber und nennt im Voraus den Preis: 500 DH, das sind 50 €. Was wir fair finden.

Glücklicherweise haben wir einen richtigen Bergegurt dabei. Rüdiger befestigt ihn an unserem IVECO, Hassan prüft, ob er fest sitzt und schon geht es los.






Es dauert keine Minute und wir sind raus, Rüdiger gibt Gas und rollt nach vorn auf die Straße.



Nachdem Bergegurt und Sandbleche verstaut sind, gibt uns Hassan, sicher nicht ganz uneigennützig, den Tipp, für zwei, drei Tage zum Camping „Tète de Lion“ zu fahren, dort sei der Boden fest. Da wir keine andere Idee haben, folgen wir seinem Rat. Der Weg führt an zwei der anderen Campings von Tafraoute vorbei. Der eine ist voll belegt, der andere ebenfalls überflutet.

Es regnet immernoch.

Wir düsen also die vier Kilometer Richtung Ammelntal. Der Campingplatz liegt an der Straße, tatsächlich direkt unter dem Löwenfelsen. Er ist nicht zu verfehlen.



Wir stellen uns an die Mauer, der Boden ist auf dieser Seite kiesig und wirklich fest und wir sind froh, fürs erste hier zu sein. Auf keinen Fall wollen wir uns woanders noch einmal festfahren.



Und es regnet weiter. Vom Löwenkopf herunter hat sich ein Wasserfall gebildet, der sich, je länger es regnet, verzweigt und breiter wird.




Da unsere Vorräte nicht mehr üppig sind, nehmen wir das Angebot der jungen Männer vom Campingplatz an, für uns zu kochen. Das machen sie richtig gut.




Erst am Freitag in den Morgenstunden hört der Regen auf.

Dichte Nebelschleier legen sich nun vor den Jbel Lekst.





Aus dem gesamten Süden von Marokko erreichen uns Nachrichten von überfluteten Brücken, bzw Furten und Stellplätzen, von gesperrten Straßen und steckengebliebenen Fahrzeugen. Im Hohen Atlas hat es 1,5m geschneit, die Pässe sind gesperrt.

Was tun wir also? Wir richten uns darauf ein, solange hier zu bleiben, bis die Straßen wieder frei sind. Glücklicherweise haben wir Zeit. Die verbringen wir mit lesen, schreiben und basteln.




Was von dem schlechten Wetter übrig bleibt, ist ein ziemlich heftiger Wind. Es stürmt, dass es nur so eine Art hat. Immerhin weht der Sturm die Wolken fort, die Sonne zeigt sich wieder. Übrig bleibt der hartnäckige Nelbelschleier vor der hohen Gebirgskette.



Am Sonnabend entschließen wir uns, zurück nach Tafraoute auf den großen Gemeindestellplatz zu fahren. Unsere Vorräte sind zu Ende und neben dem „Tète de Lion“ gibt es, neben dem Verwaltungsgebäude für das Tal der Ammeln, nur zwei kleine Lädchen, wo man lediglich Brot und Milch bekommt.



Der große Platz ist zumindest im hinteren Teil recht leer geworden. Aber auch bei den Wohnmobilen vorne ist Bewegung. Viele Straßen sind wieder frei, man fährt wieder los.

Wir können am Sonntag sogar unseren alten Platz an der Arganie wieder besetzen, Ahmed kommt in gewohnter Weise und all die anderen „Dienstleister“, die man täglich freundlich abwimmeln muss. Das hat schon was von Alltag. Auch Tafroute kennen wir allmählich wie unsere Westentasche...







Bevor wir richtig anfangen uns zu langweilen, beschließen wir weiterzufahren.

Wir verabschieden uns von Ahmed, ver- und entsorgen nochmal an der Station im Ort, laden mein Internetguthaben auf und dann geht es los.




Der Regen hat das Land mit einem grünen Schleier überzogen. Die Terrassenfelder färben sich, die Bäume blühen üppiger, selbst an steinigen Hängen lugen vorwitzige Grasbüschel und Blütenstauden in die Sonne.








Die Route über Ighrem führt durch eine karge Mondlandschaft, aber für uns hat auch das seinen Reiz.








Trotz der Einöde sind außer uns noch Andere unterwegs





und gegen Abend erreichen wir Taroudannt. Diesmal finden wir den Stellplatz an der Stadtmauer, direkt am Bab Lkhmis, einem der fünf historischen Stadttore.






Gleich dahinter beginnt die Medina. Kleine Läden und Cafès, Werkstätten und Friseure, kurz, alles was man so zum täglichen Leben braucht.








Wenn wir glaubten, Ahmed und seinen Verführungen zu entkommen, so haben wir uns gründlich geirrt. Wir sind sozusagen vom Regen in die Traufe geraten. In Taroudannt gibt es mehr Patisserien, als wir bisher irgendwo anders gesehen haben. Das Angebot ist vielfältig, reicht von Cremeschnittchen über eine breite Palette von Keksen und köstllichen Blätterteigvariationen bis zu Croissants, Brioche und Baguette.





Zunächst bleiben wir noch tapfer, erliegen dann aber auf dem Rückweg von unserem ersten Gang der Versuchung, die die frischen, knusprigen Kringel bieten. Wir bekommen unsere zwei Stück mit einem Grashalm zusammengebunden und suchen uns ein Cafè.




Hier geschieht nun, was in Deutschland undenkbar wäre: man bringt uns zum Cafè au lait einen Teller mit Serviette für das mitgebrachte Backwerk.




Da dieses Café auch noch ganz in der Nähe des Stellplatzes ist, avanciert es zu unserem Stammcafé.




Wir freunden uns mit dem kleinen Sohn des Inhabers an, der sich über unsere Mitbringsel aus der Bäckerei freut. 



Die sechs Kilometer lange Stadtmauer von Taroudannt wurde um 1523 gebaut um die Hauptstadt der Saadischen Dynastie zu verteidigen. 130 Türme und 19 Eckbastionen, die durch einen Weg miteinander verbunden sind, machten sie zu einer uneinnehmbaren Zitadelle. Fünf alte Tore ermöglichten den Durchgang. In neuerer Zeit sind sechs weitere dazu gekommen, um den Verkehr in der Stadt zu erleichtern.

Taroudannt befindet sich im Zentrum der Souss-Ebene und bildet den Knotenpunkt der Straßen, die den Norden des Atlas mit dem Süden der Sahara etwa seit dem 5. Jh. verbinden. Sie erlebte viele Herrscher und einige Kriege, stand bis 1913 unter französischem Protektorat und war das Zentrum des Widerstandes gegen die Stämme des Anti-Atlas.

Viele Juden lebten in Taroudannt und so findet man außer den Heiligen Gräbern des Islam auch solche der Juden in ihren Mauern.

Wenn man sie umrundet, wie Rüdiger es mit dem Fahrrad getan hat, findet man sehr unterschiedliche Stadien des Zerfalls oder des Erhalts, wie man will.










In Taroudannt wurde 1954 einer meiner Lieblingsmärchenfilme gedreht: Ali Baba und die 40 Räuber von Jaques Becker mit Fernandel in der Hauptrolle.

Nicht die märchenhaft schönen Kulissen, sondern das Alltägliche verleiht auch den Filmszenen etwas Authentisches.




Wir durchstreifen das Labyrinth der Souqs

















nehmen all die Farben und Gerüche in uns auf. Besonders die Gerüche lassen mich oft innehalten. Oft weiß ich gar nicht, was da so verführerisch duftet, aber manchmal möcht ich sieben Nasen haben, um alles aufnehmen zu können.





 

Auf dem Platz ist ein ständiges Kommen und Gehen, dennoch ist es friedlich. Wir waschen unsere Wäsche, sitzen in der Sonne und genießen das Dasein.

Eine winzige Maurische Landschildkröte besucht uns



und abends ruft ein Steinkauz von den Mauerzinnen nach seiner Gefährtin.




Taroudannt gefällt uns gut. Es hat etwas Unaufgeregtes. Das tut uns gut.









Aber die Zeit tut, was sie immer tut, sie vergeht. Und damit nähert sich auch das Datum unserer Ausreise. Noch haben wir einen knappen Monat, aber Marokko ist groß und wir wollen nicht hetzen.

Nach fünf Tagen in Taroudannt machen wir uns wieder auf den Weg.

Wohin erfahrt Ihr im nächsten Bericht.


Bis dann also,

Doris und Rüdiger