Sonntag, 30. Juni 2019

Der weiße Dampfer


Bei einem ersten Aufenthalt in Russland sollte man sich, eifriger noch als in anderen Ländern, jeden Tag den Gott werden lässt, vorhalten: Vergiss die Vorurteile, die positiven wie die negativen, urteile nicht – schaue!“



Erika und Klaus MannManni





Die Einwohner von Welikij Nowgorod nennen ihren Kreml Detinez, „starker Bursche“. Von einem wasserlosen Graben umgeben liegt er am Ufer des Wolchow, der in den Ilmensee fließt.





Parken dürfen wir in der Nähe vor der Touristeninformation und den vielen Souvenirständen.

Es ist noch früh am Tage als wir ankommen und wir machen einen ersten Gang durch den Park zum Kreml.

Das Erste auf das man stößt, wenn man das ovale Gelände betritt, ist das Nationaldenkmal „1000 Jahre Russland“, das im Jahr 1862 eingeweiht wurde.






Wir schlendern vorbei an der Sophien-Kathedrale durch die Anlage zum Fluss hinunter







wo wir schon die weißen Dampfer liegen sehen.

Wann, wenn nicht jetzt? Wer weiß, wie das Wetter wird.

Wir gehen also an Bord.

Unser Dampfer heißt „Retsche“ und er hat ein Oberdeck von dem aus man alles gut sehen kann.






Leider verstehen wir die Erklärungen nicht, die in Russisch aus einem Lautsprecher kommen, aber dazwischen ertönt russische Volksmusik und die passt ausgezeichnet zu dem, was wir sehen.









Das Schiff fährt auf dem breiten Fluss bis zur Mündung in den Ilmensee





dann tuckert er zurück.

Vom Wasser aus sieht die Kremlburg noch einmal so beeindruckend aus.





Wieder mit festem Boden unter den Füßen, gehen wir über die Brücke auf die andere Seite hinüber. Dort sind noch ein paar Zeugnisse der glorreichen Zeiten als Hansestadt zu sehen.





Wir entdecken ein Kinomuseum, das leider leider geschlossen hat







und eine Markthalle, die wir natürlich inspizieren.




Als wir uns am nächsten Morgen zum Aufbruch fertig machen, spricht uns ein Mann an, auf Deutsch mit russischem Akzent. Er habe unser Berliner Kennzeichen gesehen und könne es kaum glauben. Er wohne seit 20 Jahren in Deutschland, in der Nähe von Berlin. Wir plaudern eine Weile und er schaut etwas ungläubig, als wir erzählen, wie gut uns Russland gefällt. „Aber es ist alles nicht so... so neu und gepflegt wie in Deutschland.“ Da mag er Recht haben, aber dafür sieht auch nicht alles so... so gleich aus.

„Ja,“ gibt er zu, „das stimmt“.

Kaum hat er sich verabschiedet, fährt ein Oldtimer auf den Platz, dem bald ein zweiter und ein dritter folgen. Verstaubt und etwas mitgenommen sehen die alten Wagen aus, die sonst aber gut in Schuß sind.

Aber Moment mal, was sind denn das für Schilder über den hinteren Kennzeichen?





Wow! Ich befrage schnell mal Herrn Google und erfahre, dass es die 7. Rallye ihrer Art ist. In 36 Tagen muss diese Strecke von den Fahrzeugen bewältigt werden, die nicht jünger als Baujahr 1976 sein dürfen. 





Einer der Teilnehmer, Hans aus München, spricht uns an.

Ja, es sei schon hart, gibt er zu, nicht immer das reine Vergnügen. Bei Pannen ist Improvisationsgeist gefragt. In Sibirien hat ihm einer „eine Hinterachse aus einem Gartentürl gebaut“, erzählt er uns und verabschiedet sich dann bald. Heute soll St. Petersburg erreicht werden. Dort gibt es einen Tag Pause, dann geht es mit der Fähre nach Helsinki. Drei Tage später werden die Teilnehmer in Paris erwartet.

Gute Fahrt!



Wir brauchen mal wieder eine Stadtpause und finden tatsächlich einen Platz am Ufer des Wolchow, nahe am Ilmensee, gleich neben einer kleinen Klosteranlage. Ein großes Schild enthält das Wort „geschlossen“.




Wir stellen uns neben die Autos der Angler, Bootfahrer und Familien, die hier picknicken.






Gerade haben wir uns eingerichtet, da klopft es.

Ein Klosterbruder in der typisch russisch-orthodoxen Kleidung steht davor und erklärt in Englisch, das Gelände werde nachts geschlossen.

So ein Pech aber auch. Dann müssen wir uns wohl was anderes suchen.

Wir räumen zusammen, da klopft es wieder. Wieder steht das Mönchlein vor der Tür. Er sagt: „Maybe you can stay this night.“ Es sei nur so, dass um zehn Uhr abends der Schlagbaum runter ginge. Er benutzt wirklich das deutsche Wort „Schlagbaum“. Zu meinem persönlichen Entzücken.

Unsere Russischlehrer haben uns in der Schule vorenthalten, dass die russische Sprache viele deutsche Worte übernommen hat. Oder hab ich es nur vergessen? Tatsächlich haben wir auf einer Speisekarte das „Buterbrot“ entdeckt und freuen uns jedesmal, wenn wir über einem Friseursalon den Schriftzug „Parikmacherskaja“ entdecken. Da gibt auch noch den Buchgalter, den Stul, das Ziferblat, das teatr...

Jedenfalls dürfen wir in dieser Nacht bleiben wo wir sind. Wir bedanken uns herzlich.

Die Abendsonne taucht alles in ein weiches Licht, der letzte Dampfer fährt vorbei, wir ruhen aus von der Stadt, schlafen wunderbar und ruhig.







Weiter geht es nach Pskow, einer der ältesten Städte Russlands. Sie soll die letzte Station unserer Reise sein.

Die Stadt hat sich entsprechend vorbereitet und veranstaltet uns zu Ehren die „Internationalen Hansetage“. Oder sollte das Zufall sein?





Wir bekommen jedenfalls einen Parkplatz direkt neben dem Festgelände und einige Schritte vom Kreml entfernt.

Alles wird gut bewacht, an allen Zugängen steht Polizei, zum Kremlinneren muss man sogar durch eine elektronische Kontrolle, die Beamten und Beamtinnen werfen auch einen forschenden Blick in jede Tasche.

Wir spazieren also am Pskowa Fluss entlang, schauen uns die Stände, Aktivitäten und Grillbuden an, machen Halt an der einen oder anderen Bühne und lauschen den Darbietungen.












Auf der großen Bühne im Kreml wird noch geprobt. Ein Kinderbalalaikaorchester, ein Kinderchor, warten auf ihre Instruktionen.





In der ganzen Stadt trifft man auf Leute in traditionellen Kostümen.







Viele Kirchen haben wir in Russland gesehen, wenige von innen. Oft muss man als Frau Rock und Kopftuch tragen, das hatte ich nicht immer bedacht.

Aber in die Dreifaltigkeitskathedrale im Kreml von Welikij Nowgorod darf ich hinein wie ich bin.








Weiter laufen wir, immer am Fluss entlang.











Es ist unser letzter Abend in Russland. Wir feiern ihn mit einem zünftigen Schaschlik von Plastiktellern, mit Bier und Kwas.








Vier Wochen sind wir durch den europäischen Teil dieses riesigen Landes gefahren, 5307 Kilometer haben wir auf seinen Straßen zurückgelegt.

Ohne Erwartungen haben wir versucht, Russland mit neuen Augen zu sehen. Und was wir gesehen und erlebt haben, hat uns sehr gut gefallen.

Nicht eine Minute haben wir uns unsicher gefühlt, die unfreundlichen Verkäuferinnen sind eine Legende, genau wie der ständig im Wodkarausch befindliche Russe.

Wir haben viele nette Menschen getroffen, mit einigen konnten wir uns austauschen, mit anderen leider nicht, weil unser Russisch mehr als dürftig ist. Das lässt sich auffrischen.

Wir haben gestaunt, wie sauber und gepflegt alles ist. Nicht einmal an den Rändern der Fernstraßen liegt Müll.

Die Landflucht ist nicht zu übersehen, viele der schönen alten Holzhäuser stehen leer und verfallen, aber vielen anderen sieht man an, dass sie liebevoll erhalten werden.

Wir haben uns verliebt. In die endlosen Weiten, in die üppig grünen Landschaften, die weißen Birken, in die wunderschönen Holzhäuser mit den verzierten Fenstern und Giebeln, die robusten russischen Autos, vor allem den Buchanka, die Zwiebeltürme, die unendlichen Himmel, die majestätischen Flüsse, die riesigen Seen. Und nicht zuletzt in die zurückhaltenden, aber freundlichen und hilfsbereiten Menschen.

Es war ganz sicher nicht unser letztes Mal!



Unser Visum läuft ab, wir müssen Russland verlassen.



Bis bald also, liebe Freunde,

Doris und Rüdiger