Samstag, 25. Juli 2020

Klassik der Moderne


Das Heute verdrängt das Gestern


Hannes Meyer, 1926



Noch nie haben wir so viele Wohnmobile auf den Straßen gesehen, wie in diesen Wochen. Egal wo, sie durchstreifen die Lande, selbst in unserem Dorf in Sachsen-Anhalt, wo wir bislang die Einzigen waren.

Diesen Umstand berücksichtigend machen wir uns also auf gen Weimar. Abends zu starten, kurz vor unserem Ziel zu übernachten, um dort am Vormittag einzutreffen, scheint uns die richtige Taktik zu sein.

Wir fahren also in die Nacht hinein, es regnet und der Wind rüttelt an unserem hohen Aufbau, aber wir erreichen unseren Übernachtungsplatz, eine Raststätte, 5 Kilometer von der Autobahn entfernt, ohne Zwischenfälle.

Die Raststätte ist nicht in Betrieb, außer uns steht nur ein LKW dort, unser Fenster geht auf ein Weizenfeld hinaus. Wir verbringen eine ruhige Nacht und kommen, ganz nach Plan, am Vormittag in Weimar auf dem Stellplatz am Schwansee-Freibad an. 



Wie erwartet, ist er gut gefüllt, aber noch haben wir die Wahl zwischen einigen Plätzen. Nachdem wir einen gefunden haben, der uns gefällt,


ziehen wir die Regenjacken an und laufen, immer die Schwanseestraße entlang, in die Altstadt.

Eigentlich ist es zu warm für Regenjacken, aber Schirme vergisst man so leicht.

Die Altstadt ist schön und nicht überfüllt, so hat auch Corona sein Gutes.










Irgendwie landen wir am Bauhausmuseum und denken uns, warum nicht gleich, wo wir einmal da sind? Hier zeigt sich die andere Seite von Corona. Es darf natürlich nur eine begrenzte Personenzahl eingelassen werden – pro Tag. Es ist 16.00 Uhr und für heute ist das Limit erreicht.



Aber die nette Dame mit der blau geblümten Maske bietet uns ein Kombi-Ticket an, für alle Bauhausobjekte in der Stadt und mit einem Zeitfenster für das Museum für morgen. Wir buchen also für den nächsten Tag 11.30 und können uns mit dem Ticket in den folgenden Tagen auch alle anderen Häuser ansehen, die zum Bauhaus gehören. Dazu gehört unter anderen das Neue Museum Weimar, das uns die nette Dame für gleich empfiehlt, denn das sei nicht so gefragt.




Die 200 Meter sind schnell gegangen und tatsächlich, hier treffen wir nur auf wenige Besucher. Völlig unverständlich, denn in diesem Museum erfährt man alles über die Vorgeschichte und die Entstehung des Bauhauses.

Wir flanieren also über knarzendes Parkett, vorbei an Bildern und Möbeln,









an der Kultfigur Nietzsche



und verweilen dazwischen in Videoinstallationen, die uns über die Personen aufklären, denen die Bauhausbewegung ihre Entstehung verdankt. Da ist die Schwester Nietzsches Elisabeth Förster-Nietzsche,  Harry Graf Kessler und der charismatische Henry van de Velde mit seiner Familie.


Wir erfahren, dass es nicht nur um die neue Gestaltung von Form und Design ging, sondern dass es eine neue Art zu Leben war, die da geboren wurde. Die Reformbewegung entstand in diesem Zusammenhang



und einige skurrile Persönlichkeiten werden erwähnt, wie zum Beispiel Gustav Nagel, der im Anhaltinischen lebte und an den sich Rüdigers Mutter immer gern aus ihrer Kindheit erinnerte.



Drei Etagen durchstreifen wir und beschließen den Rundgang im Keller mit der Buchbinderei.






Der nächste Tag ist mein 65ster Geburtstag. Rüdiger kommt von seinem Morgengang mit frischen Brötchen und Blumen zurück.


Nach einem gemütlichen Frühstück gehen wir diesmal durch den Park am Freibad zum Bauhausmuseum, wo die alten Linden einen einen betörenden Duft verströmen. 





Wir laden uns, wie empfohlen, die Bauhaus App auf unsere Handys und folgen der dort abhörbaren Führung durch die Ausstellung.














Hier ist nun alles, was man sich landläufig so unter Bauhaus vorstellt und noch viel mehr. Uns wird noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass fast alles, was uns heute umgibt im Bauhaus seinen deutlich sichtbaren Ursprung hat.






Auch hier wird wieder die neue Sicht auf die Welt, das 'anders leben wollen' in die Ausstellung eingeflochten. Zum Beispiel durch eine Videowand mit Zitaten von und über das Bauhaus, das beileibe nicht überall auf Zustimmung oder Begeisterung stieß, was von Anfeindungen bis hin zu Verboten und Ausweisungen führte. Glücklicherweise gab es aber auch fortschrittlich denkende Mäzene, die der Bewegung eine Heimat in Weimar boten.

Die Denkweise der 'Bauhäusler' finden wir auch in Zitaten auf weißen Blättern – auf Stapeln zum Mitnehmen.




Und weil heute ein besonderer Tag an einem besonderen Ort ist, erstehe ich im Museumsshop ein Bauhaus-Tagebuch.


Das Wetter hat sich gebessert, also schlendern wir durch den Park an der Ilm bis zu Goethes Gartenhaus. 




Das ist aber nicht unser eigentliches Ziel. Etwas oberhalb liegt das Haus 'Am Horn'. Als Musterhaus für die Bauhaus-Ausstellung 1923 von Architekt Georg Muche entworfen, steht es als einzige Bauhaus-Architektur in Weimar. Die Innengestaltung übernahmen mehrere Mitarbeiter der Bauhaus-Werkstätten, unter anderen Marcel Breuer und Alma Siedhoff-Buscher.

Es veranschaulicht die revolutionären Gestaltungsideen des Weimarer Bauhauses. Sehr zweckmäßig und puristisch stellt es sich dar.






Wir finden hier wiederum die Grundlagen dessen, was in dieser Beziehung für uns heute selbstverständlich ist. Zum Beispiel die erste Einbauküche überhaupt.





Alles sollte praktisch und schnell erreichbar sein, damit die Frau sich neben der Hausarbeit und der Kinderbetreuung auch gestalterischen Ideen und der Mitentwicklung des neuen Lebensstiles widmen konnte. Denn das Bauhaus brachte auch eine neue Stellung der Frau in der Gesellschaft mit sich. Die Grundlagen der späteren Frauenbewegung.

Für heute haben wir genug input. Wir verschnaufen auf dem Frauenplan bei Goethes vor der Tür



und gehen dann ins Köstritzer Schwarzbierhaus zum Abendessen. 

Im ältesten Fachwerkhaus Weimars gibt es Thüringer Klöße und Schwarzbier, wie könnte es auch anders sein. Dann wandern wir satt, zufrieden und voller Eindrücke zurück zum Wohnmobil.

Unser letzter Tag in Weimar. Das Wetter ist ausgesprochen schön und wir laufen immer an der Ilm entlang





bis hinaus zum Haus 'Hohe Pappeln'.

Der belgische Architekt und Alleskünstler Henry van de Velde ließ es 1907/08 nach eigenen Entwürfen außerhalb der Stadt Weimar errichten. In dieser ländlichen Umgebung lebte er er mit seiner Frau und den fünf Kindern bis 1917. Das Haus war Kleinod und individuelles Gesamtkunstwerk zugleich. Namensgebend waren die hohen Pappeln vor dem Grundstück.“

Diese Einführung hören wir auf dem Audioguide, der uns in der Diele des Hauses vom Museumspersonal ausgehändigt wird.



Der Rundgang beginnt im Garten und umfasst die erste Etage des Hauses. Die obere Etage ist bewohnt.









Nachdem wir alles gesehen haben sind
wir absolut begeistert. Alles in diesem Haus ist durchdacht und formschön. So wie es hier steht, würden wir es sofort beziehen. Nur gut, dass das absolut keine Option ist, denn wir haben ja noch so vieles von der Welt nicht gesehen.

Auf dem Rückweg schauen wir bei William Shakespeare vorbei, einem meiner Lieblingsdichter 





und dann essen wir am Frauenplan nochmal deftige Thüringer Spezialitäten.

Drei Tage voller inspirierender Eindrücke liegen hinter uns. Weimar war eine wirklich gute Idee.

Um alles zu verarbeiten und setzen zu lassen, fahren wir in unseren Garten zurück für ein paar ruhige Tage.

Die nächsten Wochen werden wir wieder viel unterwegs sein, aber das ist eine neue Geschichte.


Bis bald also, liebe Freunde

Doris und Rüdiger