Dienstag, 10. September 2019

Ein Löwe namens Markus


San Markos Löwenstadt, die Wogenbraut,
Aus Marmor kühn ins wilde Meer gebaut,
                                          Guido Moritz Görres


Vor vielen Jahren las ich in einem Buch, ich weiß nicht einmal mehr in welchem, dass man in Venedig am Bahnhof ankommen muss um von dieser Stadt richtig empfangen zu werden.
Und so fahren wir – Freundin Ilona und ich – vom Flughafen in Treviso mit dem Zug zur Stazione Ferroviaria Santa Lucia, die, wie kann es anders sein, ein Kopfbahnhof ist.





Wir verlassen das moderne Bahnhofsgebäude und augenblicklich weiß ich, warum jener Autor die Anreise per Bahn empfohlen hatte.


Man tritt durch den Ausgang und zwischen einem und dem Canale Grande liegt nur die Freitreppe des Bahnhofs und der Anleger. Am anderen Ufer grüßt die Rundkuppel der Kirche Santa Simeone Piccolo herüber. Wir sind sofort mittendrin.



Schon von Berlin aus habe ich uns zwei Wochentickets für die Vaporettos, die Wasserbusse des ACTV, des städtischen Nahverkehrs, gebucht. Wir geben unseren Code in einen der gelben Ticketautomaten an den Anlegern ein und bekommen unsere Tickets, die wir von nun an nur noch vor jeder Fahrt an eines der Lesegeräte am Eingang halten müssen und wir haben eine Woche freie Fahrt auf allen Linien. So ein Wochenticket kostet 60 Euro, was zunächst viel klingt, aber angesichts der Tatsache, dass eine Einzelfahrt mit 7,50 Euro zu Buche schlägt, relativiert sich das schnell. Bereits nach zwei Tagen wir die Summe sozusagen abgefahren.
Schnell finden wir unsere Linie, die 2, die uns zum Anleger San Samuele bringt.



Nur vier Stationen sind es bis dahin vom Bahnhof und wir haben unterwegs schon die ersten Sehenswürdigkeiten gestreift. Wir unterqueren zum Beispiel gleich nach der zweiten Station die Rialtobrücke und gleiten am Teatro la Fenice vorbei.


Unser Hotel liegt im Viertel San Marco, nur zehn Gehminuten vom Markusplatz entfernt, zwei Häuser neben dem Palazzo Grassi und dem dazugehörigen Theater. An der Salida San Samuele, auf die unsere Calle de Carozza hinausgeht, gibt es ein paar originelle Galerien und eine Osteria, ein Kneipe, in der sich abends die Anwohner auf einen Wein treffen.
Unser Hotel, das Ca' dell Arte, ist in einem schmalen Haus untergebracht,


auf unser Klingeln hin, ertönt der Türsummer, wir betreten einen Flur, viel Kristall und Spiegel lässt ihn breiter erscheinen als er ist. Auf dem Empfangstischchen finden wir eine Schatulle mit unseren Namen, darin den Zimmerschlüssel, einen Stadtplan und ein Willkommensschreiben mit dem Türcode und dem Passwort für das freie W-Lan.

Kristallüster und von Muranoglas umrahmte Spiegel schmücken die schmale Treppe nach ganz oben, dort finden wir unser Zimmer.




Es hat keine Nummer, es heißt „Liberty“. Was wir dann vorfinden, hatten wir nicht erwartet.
Jugendstil in Gold und Spiegel, mit liebevollen Details gestaltet und eingerichtet.




Zwei Fenster gehen auf Häuserfronten und eine schmale Gasse hinaus, der Ausblick hat etwas von einem impressionistischen Gemälde.


Wir richten uns ein und gehen noch einmal hinaus um richtig anzukommen.
Wenige Schritte sind es bis zu dem kleinen Campo San Samuele am Anleger. Zwei Bäume sind von Bänken umstanden.


Es ist die blaue Stunde.


Wir setzen uns in der lauen Sommerluft ans Wasser, schauen den Booten zu und sehen, wie in den hohen Fenstern der gegenüberliegenden Palazzi die Lichter angehen.

Für den ersten Tag hatten wir eine Rundfahrt mit der Vaporettolinie 4.2 rund um Venedig geplant. Das Wetter ist perfekt, 27°C, eine leichte Brise, und unser Wochenticket macht es uns leicht, wir können die Fahrt unterbrechen und wieder zusteigen, so oft wir wollen.
Am Ponte delle Guglie steigen wir das erste Mal aus. Eigentlich wollen wir das ehemalige und weltweit älteste jüdische Ghetto besuchen.
Wir schlendern am Kanal entlang über die Brücke



und landen in einer der verwinkelten Einkaufsstraßen, die zum Bahnhof führen. Wir lassen uns treiben.


Unterwegs essen wir jede ein Stück der Pizzen, groß wie Wagenräder,


finden einen kleinen Supermarkt und decken uns mit Wasser und einigen Zutaten zu einem Abendimbiß ein.
Am Nachmittag machen wir uns zu Fuß auf in die Calle Lunga Santa Maria Formosa. Hier finden wir eine ganz besondere Buchhandlung. Die Libreria Aqua Alta lässt mein Bücherwurmherz hüpfen.


Hier herrscht Chaos pur, allerdings ein geordnetes Chaos. In dem langgestreckten ersten Raum ist eine Gondel aufgebockt – voller Bücher. In einem Nebenraum sind die Bücher an der Wand hochgestapelt – nach Autoren geordnet. In einem winzigen Hof sind Bücher zu einer Treppe gestapelt, von der man auf den hinter der Mauer liegenden Kanal schauen kann. Es gibt Schubkarren und weitere Boote voller Bücher, Kisten und Kästen voller Drucke, Lesezeichen, Ausstellungs- und Filmplakate, Postkarten und Kalender. Kleine Leseecken in einem Mini-Hof und direkt am Kanal laden zum verweilen ein.








Ich könnte hier Tage verbringen, obwohl die meisten Bücher italienisch sind, aber es gibt ja noch so viel anderes zu sehen. So begnüge ich mich damit, ein Lesezeichen als Andenken an diese wunderbare Bücherhöhle mitzunehmen.
Es ist nicht weit bis zum Markusplatz, wir umrunden ihn ein erstes Mal.


Von der Säule mit dem geflügelten Löwen aus schauen wir hinüber zum Lido.
Warum die Venezianer den Löwen zu ihrem Wappentier gemacht haben ist nicht hinreichend geklärt, aber da sie ihn mit Flügeln versehen haben, ist er unter all den Wappenlöwen doch etwas ganz Besonderes.


Unter den Arkaden entdecken wir einen weiteren Laden, der mich magisch anzieht.



Hier finde ich, was ich ohnehin als mein persönliches Andenken an Venedig gedacht hatte – ein Tagebuch.
Beladen mit unseren Schätzen und vielen Eindrücken beenden wir diesen ersten Tag im Hotel. Unsere Füße protestieren deutlich gegen den Gedanken zum Essen nochmal auszugehen. Glücklicherweise haben wir ja alles für eine kleine Mahlzeit eingekauft.


Wir machen es uns also in unserem schönen Zimmer gemütlich und lauschen auf die Geräusche der Stadt und des Viertels. In den Häusern ringsum gehen die Venezianer ihren abendlichen Verrichtungen nach, es wird in der Küche hantiert, man unterhält sich, im Hintergrund laufen Radio oder Fernseher.
Wir genießen es in vollen Zügen.

Auch am zweiten Tag begrüßt uns die Sonne und angenehme Temperaturen. Heute fahren wir nun wirklich mit der Linie 4.2 zunächst zum ehemaligen jüdischen Ghetto. Dieses Viertel, im Bezirk Cannaregio gelegen, hat die höchst zweifelhafte Ehre, allen späteren Ghettos der Welt als Vorbild gedient zu haben.
Anfang des 16. Jahrhunderts bekam die wohlhabende und einflussreiche, über 5000–köpfige jüdische Gemeinde vom Senat von Venedig das Viertel als Wohnort zugewiesen. Das Gebiet, dessen Name von den zuvor hier ansässigen Getti, den Metallgießern herrührt, war praktischerweise von Kanälen eingefasst. Es wurde mit Toren und – christlichen – Wächtern versehen, man baute „Hochhäuser“, die zu horrenden Preisen an die Juden vermietet wurden.
Bewacht wird das Viertel auch heute noch, allerdings aus anderen, nicht minder traurigen Gründen.










Wieder im Vaporetto geht es hinüber zur Friedhofsinsel San Michele. Wir schauen uns an, wie die Italiener, vor allem aber hier die Venezianer ihre Toten bestatten. Eine Stadt, die auf dem Wasser gebaut ist, muss mit dem Platz haushalten und die vorgelagerten Inseln sind nicht wirklich groß.
Es gibt einige mit Marmorplatten bedeckte Gräber, die meisten Dahingeschiedenen sind aber in Urnen in einem der ebenfalls mit Marmorplatten verschlossenen Fächer in halbrunden Mauern oder symmetrisch aufgestellten Blöcken bestattet.






Auf San Michele gibt es einige Prominentengräber, wie zum Beispiel das von Igor Strawinsky.
Wir spazieren die schnurgeraden Wege entlang und steigen wieder in den Wasserbus, der die Insel Murano umrundet, vorbei an den Inseln San Giorgio und Guidecca zurück zum Bahnhof fährt.













 Drei Stunden waren wir unterwegs, haben den Lido und den Flughafen Marco Polo gesehen, sind über die Lagune gefahren, nun sind wir zurück an der Stazione Ferrovia.
Unsere „Hauslinie“ 2 ist hoffnungslos überfüllt, erst mit dem dritten Schiff kommen wir mit. Ob das wohl daran liegen kann, dass sie nach San Samuele weiter zum Markusplatz und dann hinüber zum Lido fährt? Dort finden just in dieser Woche die Internationalen Filmfestspiele statt, bekannt als Biennale.


Die großen Stars kommen nach Venedig um ihre Filme vorzustellen, die kleinen Sternchen um große Stars zu werden.
Das wollen wir uns morgen mal anschauen.
Im Internet haben wir gesehen, dass Brad Pitt bereits hier gewesen ist, Juliette Binoche und Cate Blanchet werden erwartet.
Nicht, dass wir uns einbilden einen dieser Filmikonen in echt zu erleben, wir wollen nur ein bisschen Atmosphäre schnuppern.
Am nächsten Tag machen wir uns nach dem Frühstück also auf zum Lido.
Vom Anleger laufen wir durch grüne Alleen, vorbei an schönen alten Villen und Hotels,


hinter dem Strand entlang in Richtung Palazzo del Cinema. Ein paar hundert Meter davor ist die Straße gesperrt. Jeder, der auf das Gelände will, muss sich einer Taschenkontrolle unterziehen.



Das geht relativ schnell und wir schlendern zusammen mit Filmleuten, Kinoenthusiasten, Möchtegernstars und Strandfans zum neuen Filmpalast. Am Weg stehen überall Plakate für die hier gezeigten Filme




Vor dem Hotel Excelsior befindet sich der Anleger mit dem roten Teppich.


Von einer Plattform an der Straße kann man hinunterschauen, aber alles, was man jetzt, am Vormittag, zu sehen bekommt, ist die wartende Journalistenmeute.



Wir schauen eine Weile dem Treiben am berühmten Hotel zu, versuchen zu raten, welche Funktion wohl die Teilnehmerkartenträger haben.


Dann gehen wir hinunter zum Strand.
Ein Bilderbuchstrand. 12 Kilometer lang erstreckt er sich rechts und links von uns.



Strandhütten in Dreierreihen, die man mieten kann, geben dem Ganzen ein 60er Jahre Flair.


Das Mittelmeer ist schön wie immer.

Irgendwann haben wir genug und fahren zurück nach Venedig. An der Rialtobrücke steigen wir aus, ein bisschen Pflichtprogramm muss sein.




Also rauf auf die Brücke und in ihrer Mitte wieder zurück. Durch die Gassen und Gässchen, in denen sich Touristen wie wir auf die Füße treten, laufen wir zurück zum Bahnhof.
Unterwegs treffen wir auf das Europäische Kulturzentrum und eine spannende Skulpturenausstellung in dessen Garten.



Die Gasse zu unserem Hotel ist voller Menschen. Wir müssen uns durch eine doppelreihige lange Schlange zum Hoteleingang kämpfen. Was ist hier los? Ach ja, im Piccolo Teatro Grassi ist heute Vorstellung. Ob die alle da hineinpassen?
Wir machen eine kleine Pause und spazieren dann durch unser Viertel. Nur zwei Ecken weiter sind wir schon wieder mitten im Geschehen, so ruhig es auch sonst hier ist. Am Campo Santo Stefano steht die Kirche des Erzmärtyrers Stephanus. Ihr Turm ist mit 60 Meter einer der höchsten und schönsten von Venedig. Wir gehen hinein. Der Innenraum ist erstaunlich schlicht gehalten, obwohl er mit vielen Gemälden und Skulpturen geschmückt ist. Wir lassen die schöne Atmosphäre auf uns wirken, genießen die Ruhe, bevor wir uns wieder hinaus in den Sommerabend begeben.



Unser letzter Tag bricht an. Heute soll es noch einmal ein bisschen Pflichtprogramm geben, der Markusdom und eine weitere Runde über den Platz müssen schon sein.
Wir stellen uns an die gar nicht so lange Schlange an und tatsächlich, wir müssen kaum eine viertel Stunde warten, schon sind wir drinnen.



Auch hier schmücken imposante Gemälde die Wände, aber das Innere des Doms ist ziemlich düster. Die hohen Rundkuppeln erinnern mich an eine Moschee. Wir folgen dem gelenkten Strom der Besucher einmal durch das Kirchenschiff versuchen auch hier die Atmosphäre aufzunehmen. Durch die vielen Menschen und die dadurch entstehende Geräuschkulisse gelingt uns das nicht wirklich. Aber nun haben wir auch das gesehen.
Als wir wieder auf den großen Platz treten, sind dunkle Wolken aufgezogen, es grummelt heftig, aber noch ist es trocken. Wir spazieren durch die Straßen und Gassen
in Richtung Hotel, als es anfängt zu regnen.



Unter der Markise eines Souvenirladens finden wir zunächst Zuflucht, aber es scheint sich einzuregnen. Für solche Fälle sind die Ladeninhaber Venedigs gewappnet.
Im Handumdrehen stehen vor allen Ladentüren Schirme zum Verkauf.


Auch wir erwerben einen, denn bis zum Hotel wären wir durch bis auf die Haut. Da wir nun gut beschirmt sind, schauen wir noch am Campo San Mauricio in der gleichnamigen Kirche vorbei. Bei freiem Eintritt kann man hier eine Sammlung alter Musikinstrumente bewundern und vom Band den Klängen barocker Musik lauschen.


Mit unserer Neuerwerbung bewaffnet machen wir uns später auf, um in der Trattoria um die Ecke unser Abschiedsessen einzunehmen. Gemütlich ist es hier und das Essen schmeckt uns genauso gut, wie der Hauswein.



Wir lassen die letzten Tage noch einmal Revue passieren und empfinden Abschied. Die Zeit ist – wie immer, wenn es irgendwo schön ist – viel zu schnell vergangen. Wir würden es durchaus noch ein paar Tage aushalten.
Aber der Rückflug ist gebucht und zu Hause warten unsere Lieben auf uns.
Wir hatten Zeit uns auf diese so besondere Stadt einzulassen, sie in uns aufzunehmen und so diese Tage unvergesslich werden zu lassen. Vieles haben wir noch nicht gesehen, aber das schafft man wohl sowieso nie.

Am nächsten Morgen fahren wir zum letzten Mal mit der Linie 2 zum Bahnhof, werfen einen letzten Blick auf den Canale Grande



uns dann sitzen wir auch schon im Zug,


unser Flieger hebt pünktlich ab




und eine gute 9Stunde später sind wir wieder in Berlin.


Arrivederci Venezia! Danke für die wunderbare Zeit!

Ich fahre weiter nach Fürstenberg, wo Rüdiger auf mich wartet. Ein paar Tage werden wir bei Hagen und Familie verbringen, dann wartet ein weiteres Highlight auf uns – das
Rock und Blues open air in Vollmershain.

Wir nehmen Euch gerne mit, liebe Freunde.
Bis bald also,
Doris - und dann auch wieder Rüdiger