Samstag, 8. Juni 2019

Das Monument

Der Sinn des Reisens besteht darin,
die Vorstellungen mit der Wirklichkeit auszugleichen,
und anstatt zu denken, wie die Dinge sein könnten,
sie so zu sehen, wie sie sind.
                                                                                        Samuel Johnson






Vor einigen Tagen entdeckten wir, dass in unserem linken Vorderreifen eine Schraube steckt. Immer mal wieder ließ die Luft nach, je nachdem wie wir zu stehen kamen.

Also suchten wir nach einem Reifendienst.

Es gab so einige am Wegesrand, aber entweder war Sonntag, oder Mittagspause oder vor uns LKWs mit

„richtigen“ Reparaturen, die länger dauern.

Ein Stück hinter Rossosch finden wir dann einen neben einer Tankstelle. Rüdiger biegt ab, einen Versuch ist es wert.

Und tatsächlich, der junge Mann hat anscheinend gerade Zeit für uns.



Er besieht sich den Schaden, geht in die Werkstatt, kommt mit einer Art Korkenzieher, einem Fläschchen Leim, einem Cutmesser und einer Plastiktüte mit roten Schnurstücken (so sieht es für mich aus) wieder heraus.

Zunächst entfernt er mit dem Korkenzieher die Schraube, dann lässt er ihn in dem Loch stecken.





Ein Stück Schnur wird mit giftgrünem Leim eingepinselt und mit dem Korkenzieher doppelt in das Loch gestopft. Abschneiden. Fertig.






Das war's? Das war's! Wir dürfen noch unsere Kanister mit Trinkwasser füllen, ein Trinkgeld lehnt er ab. Die ganze Aktion hat 3 € gekostet und  keine halbe Stunde gedauert.



Glücklich, dieses Problem los zu sein, fahren wir weiter.



Die Landschaft verändert sich. Wälder und Wiesen werden von gigantischen Feldern abgelöst, die bis zum Horizont reichen. Drei, vier Kilometer lang kann so ein Feld sein. Getreide, Sonnenblumen, Kartoffeln und uns Unbekanntes(Buchweizen?), so weit das Auge reicht.

Man beginnt zu erfühlen, wie riesig dieses Land ist.

Wenn die ersten Tage noch jede Menge Schmetterlinge, Bienen, Käfer und sonstige fliegenden Insekten ein vorzeitiges Ende auf unserer Frontscheibe fanden, hier summt und brummt nichts mehr und als wir abends einen Platz am Feldrand beziehen, hört man kaum Vögel. Es gibt vor allem Raben und Tauben. Auch Störche, die es in den Dörfern weiter nördlich in Hülle und Fülle gab, sehen wir schon eine Weile nicht mehr. 
Der Anblick der bis zum Horizont wogenden Ähren in der Abendsonne hat etwas faszinierend Unwirkliches.




Einige Kilometer vor Wolgograd überqueren wir den Don und eine weitere Zeitzone. Jetzt ist es drei Stunden später als zu Hause.  
Der Don ist ein beeindruckender Fluss.

Wieviel haben wir über ihn gehört und gelesen und nun sind wir tatsächlich da!

Tichy Don, der stille Don, wird nur einige Kilometer weiter, zwischen Wolgograd und Rostow angestaut zu einem riesigen See, aber hier ist er noch ein breiter Strom, der in der Sonne glänzt.



Der Verkehr in Wolgograd ist viel entspannter als gedacht, so finden wir schnell unser Hotel. Man erwartet uns schon, wir können das Auto hinter dem Gebäude gut bewacht parken.

Unser Zimmer liegt im 9. Stock, wir haben einen schönen Blick über die Stadt und zum Mamajew-Kurgan Hügel, wo die monumentale „Mutter Heimat“ von hier aus zu sehen ist.





Als wir nach einer kurzen Pause noch einmal zum WoMo gehen, überreicht uns die junge Dame von der Rezeption eine Visitenkarte, die für uns abgegeben worden sei.





Gisela und Werner, ebenfalls aus Berlin, haben unser Auto entdeckt und das Kärtchen mit einer Telefonnummer hinterlassen. Wir rufen an und verabreden uns.

Bevor wir die Beiden aber in ihrem WoMo auf dem Parkplatz hinter dem Fußballstadion besuchen, spazieren wir den Leninprospekt entlang, essen in einer Imbißbude ein gutes Schaschlik und begucken ein paar Meter weiter die größte aller Statuen von Wladimir Illitsch Uljanov, genannt Lenin.





Die runde Arkade, die sie umgibt, geht in einen Wohnblock über. Wir gehen hindurch und finden uns auf einem Wohnhof wieder.






Dahinter entdecken wir die Ruine des Pawlow-Hauses, ein Wohnhaus, das während der Schlacht um Stalingrad hart umkämpft war, benannt nach dem Feldwebel Jakow Fedotowisch Pawlow, der den Zug Soldaten befehligte, welcher das Gebäude zwei Monate lang gegen die 6. Armee der Deutschen verteidigte. Seine Ruine blieb als Mahnmal stehen.





Daneben befindet sich das Historische Museum „Schlacht um Stalingrad“, direkt an der Wolga. Wir schauen uns die Außenanlagen an, die in eine Parkanlage eingebettet sind, die dann in eine Uferpromenade übergeht.










Mütterchen Wolga. In Liedern, Gedichten und Geschichten hundertfach beschrieben und verehrt, ist sie „eine der wichtigsten Lebensadern Russlands und gilt als Ausdruck der berühmten russischen Seele“. So der Reiseführer.

 Wir laufen also am längsten Fluss Europas entlang, gucken uns die Leute an, die im Schatten auf den Bänken ausruhen und treffen am Ende auf dieses Ensemble.





Hinter der Fussballarena finden wir das WoMo von Gerlinde und Werner, werden herzlich willkommen geheißen, vor allem von Ulla, der Dackeldame.

Wir verbringen einen netten Abend, plaudern, tauschen uns aus und Werner erzählt von seinen bisherigen Reisen und den letzten 8 Wochen, in denen sie bis zum Baikalsee gekommen sind. Nun sind die Beiden auf der Heimreise.

Vom Parkplatz aus hat man einen tollen Blick auf die große Statue mit dem Namen „Mutter Heimat ruft“, die im Abendlicht sehr eindrucksvoll aussieht.





Am nächsten Morgen machen wir uns dann auch auf, den Mamajew-Hügel zu erklimmen. Auf diesem in der Schlacht von Stalingrad wichtigen und hart umkämpften Punkt nördlich vom Stadtzentrum, wurde eine gewaltige Gedenkstätte errichtet, deren höchster Punkt eine der größten Statuen der Welt ziert. Sie wurde 1967 eröffnet.

Wir steigen die vielen Stufen hinauf, gehen vorbei am großen Wasserbecken, den Ruinenwänden, die mit Reliefs versehen sind und zwischen denen Musik erklingt. Die Stimmen der russischen Soldatenchöre schaffen eine ganz eigene Atmosphäre. Sie werden unterbrochen von Schlachtenlärm und Frontbulletins. Das ist sehr beeindruckend und ich kann mich eines Schauers nicht erwehren.








Die Treppe endet am Eingang zur Halle mit der ewigen Flamme. Auf Tafeln rings an den Wänden sind die Namen von 35.000 Soldaten geschrieben, deren Gebeine zu Füßen der Statue begraben sind.

Die Wachkompanie marschiert im Trauerstechschritt durch die Halle, vor der Flamme und am Ausgang stehen je zwei Soldaten. Menschen legen rote Nelken nieder.






Seit 2005 gibt es auch eine Kirche auf dem Hügel. Ihre goldenen Zwiebeltürme leuchten weithin. Religion hat in Russland wieder einen festen Platz in der Gesellschaft.






Wir gehen zurück, vorbei an den Metallbögen die von der Bahnstation zum Fußballstadion führen und an die abends ein Himmel projiziert wird während Orchestermusik erklingt.





Wir essen ein „Moskauer Eis“, Sahneeis zwischen zwei Waffeln, das noch genauso schmeckt wie in unserer Kindheit, dann schlendern wir zurück zum Hotel.

Während ich in der Gäste-Laundry unsere Wäsche in die Maschine stopfe, läuft Rüdiger noch einmal zum Panorama-Museum und besorgt Briefmarken. Die Postkarten an die Oma tragen wir schon drei Tage mit uns rum.





Am Abend gehen wir essen. 
Gemütliche Kneipe, leckeres Essen und, nach langer Zeit mal wieder ein Bier. 




Satt und zufrieden schlendern wir zurück zum Hotel. 
Wolgograd hat uns gefallen. Wir könnten uns vorstellen, dass wir nicht zum letzten Mal hier waren.
Morgen geht es weiter in Richtung Sarepta.

Bis bald, liebe Freunde
Doris und Rüdiger
 




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