Mittwoch, 15. Februar 2023

Das Tal der Ammeln

 





Die Ammeln sind ein zu den Schlöh gehöriger Berberstamm. Sie selbst nennen sich Taschelhit. So benennen sie auch ihre Sprache, einen Dialekt des Tamazight, der Sprache der Berber. Tamazight ist als offizielle Amtssprache seit 2011 anerkannt, Taschelhit nicht. So sprechen die meisten von Ihnen auch Tamazight und das Marokkanische Arabisch, Viele auch Französisch, das sie in der Schule lernen. Ein mehrsprachiges Volk also.

Die Berber sind sozusagen die Ureinwohner des Maghreb, des nordwestlichen Teils von Afrika. Etwa zwei Drittel der marokkanischen Bevölkerung sind Berber. Sie selbst nennen sich Amazight, was „freier Mensch“ bedeutet.



Die Ammeln leben hauptsächlich in dem langgestreckten Tal an einem der höchsten Berge des Antiatlas, dem Jbel Lekst, dessen höchster Punkt auf 2350 m liegt, in verstreuten Bergdörfern. Geheiratet wird ausschließlich untereinander, so dass der Besitz zusammen bleibt.

In diese Gegend führt uns unsere Route von Tiznit nach Tafraoute.

Die R-104 windet sich in vielen Schlaufen und Haarnadelkurven über den Col du Kerdous auf 1100m durch eine unglaublich bizarre Bergwelt.












Wir sind mal wieder tief beeindruckt und kommen aus dem Staunen nicht heraus.                      Am Weg tauchen die ersten blühenden Mandelbäume auf. Vorboten des Frühlings?





In Tafraoute suchen wir uns auf dem riesigen Wohnmobilstellplatz der Gemeinde einen Platz an einer Arganie.






Wir haben von dort einen herrlichen Blick auf die Berge, die wie gigantische Geröllhaufen wirken und auf den Löwenkopffelsen, der Teil des Jbel Lekst ist.






Dieser Stellplatz ist eigentlich einer der besten in Marokko. Für 15 DH (1,50€) steht man hier mit dem Gefühl frei zu stehen, da es keine eingeteilten Plätze gibt, sich jeder hinstellen kann wo es ihm beliebt.

Die täglich alle Mobile abklappernden Dienstleister, die man, wenn man keinen Bedarf hat, eben auch täglich abwehren muss, gehören dazu. Sie sind nicht aufdringlich, machen aber jeden Tag ihre Runde.

Da ist zuerst der Bäcker Ahmed mit dem Fahrrad, der mit dem Ruf „Macron, Patisserie, Pain, Pain, Pain“ drei Mal täglich seine Runde dreht. Sein Service besteht darin, dass man am Abend Brot bezahlen kann, dass er am nächsten Morgen pünktlich um Acht in einem der erwähnten Fleece Beutel ans Auto hängt. Wir essen eher selten Brot. Seine Brioche sind allerdings göttlich.



Es folgt eine Frau in einem Auto, die anbietet, Tajine oder Couscous ans Auto zu liefern und die Wäsche zu waschen. Wir bestellen also eine Tajine.

Am nächsten Tag liefert sie pünktlich um 17.00 Uhr das, marokkanische Kochgeschirr mit dem noch heißen, wirklich köstlichem Inhalt.





Am nächsten Morgen holt sie die Tajine bei ihrer Morgenrunde wieder ab.



Dann sind da noch ein Junge, der Eier in einem Eimer und eine Frau, die ebenfalls Brot anbietet, diverse Autowerkstätten, die auf Kundenaquise aus sind, ein Mann mit einem Rolli, der Scheibenwischer erneuert, ein anderer, der das Auto lackieren würde, einer, der bei Bedarf Bilder drauf malt, zwei oder drei, die in der Stadt einen Laden mit Teppichen und anderen Artikeln aus der Herstellung der Berber anbieten. Hinzu kommen Arganöl- und Honigverkäufer, ein Auto mit einem Tank auf der Ladefläche, dass Autowäsche vor Ort anbietet, ein anderes, dass Frischwasser liefert und Kinder, die etwas schüchtern, aber immer wieder nach „Bonbon“ oder „Stilo“ fragen. Zum Teil kommen sie aus den Camps in den, hinter dem Stellplatz gelegenen, Seitentälern, zum Teil aus der benachbarten Schule. Die Kinder aus den Camps gehören wirklich zu den Armen, aber außer ein paar Stiften haben wir nichts an Bord. Süßigkeiten führen wir aus reinem Selbstschutz nicht mit.




Die Nächte hier oben, auf 1027m, sind kalt, kurz über dem Nullpunkt, aber die Tage sonnig und warm, so dass man gut draußen sitzen kann. Für unsere Solarpaneele reicht die Sonne aus, ein Stromproblem haben wir also nicht.





Wir gehen in den Ort, um Trinkwasser zu kaufen und das eine oder andere Restaurant zu frequentieren,










wandern durch die uns umgebende Bergwelt und genießen die absolute Stille dort.
























Es heißt, wer einen Stein so auf einen der großen runden Felsbrocken werfen kann, dass er oben liegen bleibt, der hat Glück. Das probieren wir natürlich aus.




 

Auf dem Platz wird es immer voller und vor allem lauter. Wir sind nicht mehr gemacht für Musikberieselung den ganzen Tag und die Geräuschpegel unserer Nachbarn. Man steht immernoch relativ weit voneinander entfernt, aber wir lechzen nach Einsamkeit.



Bis zum Mittwoch warten wir noch, denn wir wollen auf den Markt, um uns für ein paar Tage zu bevorraten. Dann werden wir uns, wenn alles gut geht, irgendwo in der Gegend um die blauen Steine einen einsamen Platz suchen.


Am Dienstag ziehen dunkle Wolken auf über dem Löwenkopffelsen. Ob es wohl regnet im Tal der Ammeln? Hier kommen ein paar dürftige Tropfen an, die nicht einmal den Boden anfeuchten.




In meinen Tagebüchern von der letzten Reise durch Marokko, lese ich ständig von Regen. Wir erinnern uns. Aber nun sagt man uns, dass das wohl der letzte richtige Regen war, das Land wird überall immer trockener.

Auf unserer Fahrt hierher fielen uns viele vertrocknete Arganien auf. Für die Menschen macht es das nicht leichter.

Nach zwei ruhigen Tagen werden wir am Sonnabendmorgen von Knallgeräuschen geweckt, deren Echo von den umliegenden Bergen widerhallt.

Was ist denn da los? Gangsterjagd, Militärübung? Eine Hochzeit kann es ja wohl so früh am Morgen noch nicht sein und es sieht auch nicht nach Feuerwerk aus. Immerwieder knallt es durch den friedlichen Morgen.

Ein paar Minuten später beobachten wir von unserem Fenster aus ein Wildschwein, dass nicht weit von uns übers Gelände rennt, verfolgt von einem Mann mit einem Gewehr. Das ist es also: Wildschweinjagd.



Der dritte Schuss trifft, das Schwein bricht an einer Arganie zusammen.



Ein zweiter Mann kommt auf einem Moped angefahren und schleift das tote Tier bis zum Baum. 



Dann beginnt er, ohne es zu häuten, eine Keule abzuschneiden. Einer unserer Nachbarn kommt dazu, ein weiterer, bald hocken vier Männer unter dem Arganienbaum und zerlegen den Kadaver. Die Reste werden an Ort und Stelle vergraben.





Ein bisschen irritiert sind wir schon. Braucht man hier einen Jagdschein? Und wenn ja, sollten da nicht einige Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden? Es ist ja nicht ganz ungefährlich, hier rumzuballern, wo viele Menschen zugange sind, darunter etliche Kinder.

Außerdem sind wir bisher davon ausgegangen, dass Moslems kein Schwein essen. Ist Wildschwein eine Ausnahme?

Der Tag nimmt seinen Lauf und bald ist der Vorfall vergessen.


Der Markt sorgt jede Woche dafür, dass die Stadt nur so von Menschen wimmelt. 



Man schiebt an den Ständen vorbei, die alles anbieten, was gebraucht wird. In der Obst- und Gemüsehalle sind die Stände belagert, die Leute haben es eilig. Wir nicht. In Ruhe kann man hier aussuchen, was einem gefällt. Wir füllen unsere Plastikschüsseln, die statt Einkaufskörben benutzt werden, stellen uns beim Mann an der Waage an. Unsere Beutel füllen sich mit Früchten.










Am nächsten Morgen brechen wir auf. Schnell erreichen wir die Piste, die zu den Painted Rocks, den bemalten Steinen führt. Die weite Ebene davor ist leer. Kein einziges Mobil steht hier, das ist verdächtig. Bald sehen wir auch warum. Vor jeder Einfahrt steht ein Schild, welches das Übernachten verbietet.






Weiter und weiter verfolgen wir die Piste, es wird immer stiller und einsamer, einen Platz zum Stehen finden wir nicht. Das Gelände ist zu unwegsam. Also legen wir eine kleine Pause ein und rollen zurück zur Hauptstraße.





Am Ortseingang von Tafraoute entdecken wir eine weitere Fläche zwischen Palmen, auf der weit verteilt, Wohnmobile stehen.

Möglicherweise ist es hier ruhiger, als direkt am Zentrum von Tafraoute.



Tatsächlich können wir hier unsere Sehnsucht nach Ruhe stillen.

Aber, genau wie auf dem anderen Platz, kommt hier abends der Gemeindekassierer und händigt uns gegen 15 DH einen kleinen blauen Schnipsel aus mit Datum und Summe.



Ahmed kommt mit seinem Rad auch hierher und freut sich, uns wiederzusehen. Eine andere Frau kümmert sich um unsere Wäsche, die wir am nächsten Tag trocken und zusammengelegt wiederbekommen.

Täglich laufen wir die etwa zwei Kilometer in die Stadt, trinken Kaffee, essen Tajine und lassen uns von einem der Inhaber des „Maison du Touareg“ zu einem Ausflug in zwei der nahe gelegenen Schluchten überreden, in die wir mit unserem Auto nicht kämen.




Ob sich dieser Ausflug lohnt, oder ob wir bereuen, dieses Angebot angenommen zu haben, erfahrt Ihr beim nächsten Mal.


Bis bald also

Doris und Rüdiger




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