Samstag, 1. Juli 2017

Hinter den Bergen...


...
Im Feld wächst Brot. Und es wachsen dort
auch die zukünftigen Brötchen und Brezeln.
Eidechsen zucken von Ort zu Ort..
Und die Wolken führen Regen an Bord
und den spitzen Blitz und das Donnerwort.
Der Mensch treibt Berg- und Wassersport
und hält nicht viel von Rätseln.

Er hält die Welt für ein Bilderbuch
mit Ansichtskartenserien.
Die Landschaft belächelt den lauten Besuch
sie weiß Bescheid. 
Sie weiß, die Zeit
überdauert sogar die Ferien.

                          Erich Kästner


Liebe Freunde,

könnt Ihr Euch vorstellen einen ganzen Tag Eisenbahn zu fahren, nur zu Eurem Vergnügen? Nein? Genau das haben wir gemacht und es war ein toller Spaß.

Die Rhodopenbahn ist die einzige Schmalspurbahn Bulgariens. Sie fährt von Dobrinište nach Septemvri, eine Strecke zwischen Pirin Gebirge und Rhodopen.
Am Tag vorher stellen wir uns mit dem Düdo vor dem Bahnhof in Dobrinište auf und erkunden erstmal die Lage. Entgegen anderslautender Aussagen im Internet fährt die Bahn nach wie vor auf besagter Strecke. Beim netten „Station Manager“ erfahren wir die Abfahrtszeiten. Morgen früh um 10.10 Uhr soll es losgehen. Tickets gibt’s auch morgen.
Soweit so gut. Da vom Tag noch einiges übrig ist, erkunden wir den kleinen Ort. Viel ist nicht zu sehen, aber das wenige ist ganz charmant. Als sehenswert wird die Peter und Paulskirche auf den Wegweisern angezeigt. Wir können sie nicht verfehlen. 
 
Im Café Fontana im kleinen Stadtpark gibt es eine sehr nette junge Frau, die gut Englisch spricht und einen kleinen Imbiss. Danach schlendern wir zum Rathaus. Aus dem Kulturhaus gegenüber ertönt bulgarische Volksmusik. Ein Chor und eine Volkstanzgruppe proben. Wir gönnen uns ein Eis, setzen uns auf eine der Bänke vor dem Rathaus und bekommen ein weiteres Konzert gratis.

Pünktlich um 10.10 Uhr setzt sich am nächsten Morgen die Schmalspurbahn in Bewegung. Zuvor hat Rüdiger beim Diensthabenden unsere Tickets erstanden. Wir sind ein weiteres Mal verblüfft ob des Preises.


Die Hin- und Rückfahrt für zwei Personen kostet ganze 24.- Lewa (12.-€)




 Einen schönen Fensterplatz bekommen wir im vorletzten der vier Waggons, noch ist die Bahn leer.



 

 Sie ist nicht etwa eine Touristen- oder Museumsbahn, sondern ein ganz normales Verkehrsmittel, dass die Leute mit Sack und Pack, mit Kind und Kegel von einem Dorf ins andere bringt.


An jeder Station steigen Fahrgäste ein und aus.
Hier wird noch von Hand abgepfiffen und mit der Kelle das Abfahrtssignal gegeben.

Wir sind vollkommen damit beschäftigt die immer wechselnde Landschaft zu betrachten, 


Fotos zu machen, die Streckenführung auf unserem Tablet zu verfolgen

 und alles festzuhalten, was wir unterwegs beobachten,

so vergeht die Zeit wie im Fluge.







Die Streckenführung allein ist schon eine spannende Sache. In vielen Kurven, Schleifen und Kringeln windet sich die kleine Bahn durch die Berge.

 Viele Tunnel durchfährt sie und überwindet etliche Steigungen. 




                                                                                                 

Die Landschaft ist üppig
grün, abwechslungsreich und bietet immer wieder neue Ausblicke.


Auf dem Bahndamm blüht es überall. Natürlich ist das Blumen pflücken während der Fahrt verboten, aber die Durchschnittsgeschwindigkeit unseres Bähnleins ließe das durchaus zu. Für die 125 Kilometer braucht sie immerhin 5 Stunden.

Einige Stationen sind gut gepflegt, andere sind nur Haltepunkte, manche haben schon deutlich bessere Zeiten gesehen, 




 aber jede hat einen Brunnen der mit Wasser aus den Bergen gespeist wird. Hier können sich die Reisenden mit Wasser versorgen und erfrischen.

Auf fast jedem Bahnhof dümpeln in irgend einer Ecke alte Relikte der Eisenbahn, die sich langsam mit der Natur vereinen.



Und dann sind da die Menschen, die mit uns fahren. Die alten Weiblein, die mit Kopftuch und langen Röcken unterwegs sind, knorrige alte Männer mit Hut, die jungen Leute, die sich nicht von denen bei uns unterscheiden, rundliche Frauen mit Einkaufstaschen, schwieligen Händen und Kindern im Schlepptau, ab und zu ein Mann in Arbeitskleidung.

In Septemvri gibt es nicht viel zu sehen und es ist auch nur 1 Stunde Zeit bis es wieder zurück geht nach Dobrinište. Wir umrunden also einmal das Bahnhofsgebäude, schauen uns ein wenig um und finden uns rechtzeitig wieder auf unserem Bahnsteig ein, wo der Zug schon wartet.

Trotz aller Tristesse ist Septemvri ein nationaler Eisenbahnknotenpunkt. Hier steigt man um, wenn man nach Sofia will und umgekehrt. Der Zug aus der Hauptstadt ist noch nicht da und wir warten. Mit 20 Minuten Verspätung kommt er dann aber und bringt noch ein paar Fahrgäste für die Schmalspurbahn mit. Endlich kann es losgehen. Die kleine Diesellok dreht ordentlich auf um die Zeit wieder herauszuholen. 

 Reisen macht hungrig, wir packen unseren Proviant aus.
Und dann regnet es. Schnell werden alle Fenster geschlossen, was bei Temperaturen von 30° recht unangenehm ist. Glücklicherweise ist nach einer halben Stunde alles vorbei und wir können wieder Luft herein lassen.
Im letzten Schein der Abendsonne erreichen wir wieder Dobrinište.


Nikopolis ad Nestum entstand im Jahr 106 unter Kaiser Trajan und wurde anlässlich des Sieges der Römer über die Daker gestiftet.“ So der Reiseführer.
Einige Kilometer hinter Goce Delčev, beim Dörfchen Gârmen, finde wir die Überreste der alten römischen Festung.
Das Gelände ist mit EU-Mitteln schön hergerichtet, die alten Mauern freigelegt und gesichert. 
 





Bei 38° im Schatten verfolgen wir die Wege an den Wällen entlang und über die weitläufigen Wiesen mit riesigen Bäumen. Wir sind die einzigen Besucher.

Weiter geht es auf der Straße 198 über den Popski Pass (1120m) durch das Pirin Gebirge. Hinter Petriĉ, biegen wir ab auf die 108. Unser Ziel ist das Baba Vanga Museum bei Rupite.
Baba Vanga war eine Hellseherin und Heilerin, der im Alter von 6 Jahren ein Engel erschien und sie vor die Alternative stellte die Realität oder die Zukunft zu sehen. Sie entschied sich für die Zukunft. Bis zu ihrem Tode 1994 und darüber hinaus bis heute wurde sie sehr verehrt. Hochrangige Parteimitglieder kamen zu ihr um sich den rechten Weg weisen zu lassen.
Nie hat sie aus ihrer Gabe versucht Kapital zu schlagen und lebte bis zu ihrem Tode sehr bescheiden. Sie soll den 11.September und die Auflösung des kommunistischen Systems vorausgesagt haben.
Das Museum ist ein weitläufiger Park mit zwei Termalteichen (das Wasser kommt hier mit 75° aus der Erde) der modernen Kirche Sv. Petka, 


dem kleinen Museum und einem Bronzedenkmal der erblindeten Hellseherin.

Außerhalb des Museumsgeländes führt ein kleines Sträßchen nach rechts und zu einigen kleinen weiteren Termalseen, die frei zugänglich sind und wo wir übernachten wollen. Die ganze Anlage befindet sich im Krater eines erloschenen Vulkans.

 
Wenn die Sonne weg ist, kommen die Leute aus der Umgebung her, reiben sich mit dem feinen Heilschlamm ein und baden in dem hier nur etwa 35° warmen Wasser.


Wir tun es ihnen gleich.
Irgendwann wird es ruhig und man hört die Erde stöhnen und ächzen, wenn sie gluckernd den Schlamm und das heiße Wasser hervorbringt.
 
Nach einem warmen Morgenbad brechen wir auf nach Melnik. Der Ort ist berühmt für seine gut erhaltenen Wiedergeburtshäuser und steht unter Denkmalschutz. Außerdem wird hier ein besonderer Wein gemacht aus einer Traube, die es nur hier gibt.
Am Ortseingang gibt es einen Parkplatz vor einem noch im Bau befindlichen Hotel, wir stellen uns dorthin und bleiben unbehelligt.

Zunächst schlendern wir die Hauptstraße entlang, steile steinige Gassen hinauf bis zum höchsten Weinkeller von Melnik.

Wir verkosten den berühmten Wein und der Winzer erzählt uns einiges über die Verhältnisse in Bulgarien und hält nicht mit seiner Meinung die EU betreffend hinterm Berg. „Die Vereinheitlichung ist dumm.“ sagt er, „die Leute kaufen nur die weit verbreiteten Rebsorten, wie Merlot und Pinot Noir und die individuellen Weine bleiben wenigen Kennern vorbehalten. Dabei wurde von unseren Vorfahren, den Thrakern schon Wein gekeltert, als die Römer noch gar nicht wussten was das ist.“
Vor der EU war Russland Bulgariens wichtigster Handelspartner. Durch das Embargo ist diese Ader versiegt.
 
 Er redet sich förmlich in Rage und wir hören ihm zu, denn so erfahren wir mal, wie man in Bulgarien so denkt. Oft scheitert das nicht an der fehlenden Kommunikationsfreudigkeit der Leute, sondern an der Sprache. Der Winzer spricht gut Englisch. Sicher gibt es dazu in Bulgarien viele Meinungen, aber das dürfte überall so sein.
Nach einer Pause suchen wir uns abends ein Restaurant mit Terrasse, speisen vorzüglich,


bekommen von zwei Bulgaren eine Liste mit Sehenswertem und lernen bei einem Absacker Armin aus Salzburg kennen.
Wieder wird es ein schöner Abend. Armin ist viel gereist, wir haben uns gegenseitig viel zu erzählen.
Am nächsten Morgen schaut er noch auf einen Kaffee herein, bevor er weiter fährt nach Griechenland.
Wir haben nur eine kurze Strecke zu bewältigen.
10 Kilometer vor Melnik, in dem ruhigen Dorf Kromidovo betreiben die Engländer Sarah und John den „Kamping Kromidovo“. Wir stehen sozusagen in ihrem Garten.


Nicht, dass wir es wirklich vermisst hätten, aber das ist seit Wochen der erste Camping mit westeuropäischem Standard. Super Sanitäranlagen, Mülltrennung und eine Waschmaschine. Alles ist liebevoll und durchdacht eingerichtet und wir fühlen uns auf Anhieb wohl.
Die Beiden betreiben den Platz nach ökologischen Grundsätzen, was uns ja durchaus entspricht. 
Bei 41° im Schatten, kann man eigentlich überhaupt nichts tun, außer warten bis die Sonne weg ist und es erträglicher wird. John lädt uns ein ins Haus zu kommen, da ist es noch am kühlsten.
Im Dorf gibt es zwei Läden und ein Thermalbad. Letzteres nur ein paar Schritte die Straße runter. John meint ab Montag soll die Temperatur auf nur 30° sinken.
Wir werden also ein paar Tage hier bleiben und klar Schiff machen, bevor wir unsere Rundreise fortsetzen.

Von unseren Kindern und Freunden hören wir, dass Berlin wegschwimmt und man bei 19° bibbert. Sarah erzählt, dass sie aus England ähnliches hört.
Wen immer von Euch das betrifft, Ihr habt unser Mitgefühl. Gern würden wir Euch ein bisschen Sonne schicken. Vielleicht klappt's ja.

Seid gegrüßt und bleibt uns gewogen.
Doris und Rüdiger


 
 

1 Kommentar:

  1. Herrlich wieder Deine Reportage!!!! *Gg* dass Ihr da auch gleich danach mit der Schmalspurbahn gefahren seid, finde ich ja echt witzig! Habt Ihr auch die Chefin von der Bahn gesehen? Wurde auch berichtet, dass in den Dörfern die Bahn im Winter die einzige Verbindung zur Außenwelt ist! Ja und schade, dass diesen individuellen Weine nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird! Macht's gut! Und gut schwitz! *gg* Ute

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