Dienstag, 14. Juni 2022

Zeitreisen




Şanlıurfa, kurz Urfa genannt, liegt fast an der syrischen Grenze. Über breite Boulvars gelangen wir zum Einkaufszentrum Piazza. Dort gibt es einen sehr großen Parkplatz. Am Rande, zum Hotel Hilton Garden hin, wachsen ein paar Palmen, dort stellen wir uns hin.

Unser Datenvolumen bei Vodafone ist abgelaufen, also - zuerst ins Einkaufszentrum, um es nachzuladen.





Durch eine Sicherheitskontrolle wie auf dem Flughafen betritt man das klimatisierte Shoppingcenter, in dem es vor allem die edlen, teuren Läden gibt. Die sehr nette junge Frau am Infoschalter erklärt uns, wo der Vodafone Laden ist. Kurze Zeit später sind wir wieder online. 20 GB für etwa 6 €.

Noch einmal befragen wir die junge Frau an der Information nach dem Weg in die Altstadt. Diesmal geht sie mit uns bis vor die Tür und zeigt uns den Weg.

Vorbei am Archäologischen Museum erreichen wir zuerst den Park vor der großen Moschee. Kleine Seen und Kanäle machen das Klima dort sehr angenehm. Von einer Schattenbank aus beobachten wir das Treiben.




Gleich dahinter beginnt das Basarviertel. 




Einen ersten Rundgang, ein Urfa Kebab und einen Tee am Stand des Elektrikers später merken wir, dass die Hitze ganz schön schlaucht. Der Weg zum WoMo zurück ist wie eine Wanderung in der Wüste – rings um das Museum gleißende Sonne, kein Schatten.






Während wir eine Pause machen, klopft die Security vom Piazza und fragt, wie lange wir denn hier stehen wollen. Auf unsere Antwort: „one night“ heißt es „Tamam“ - okay und das war's. Später am Abend, auf ihrem Rundgang, kommen sie nochmal vorbei und winken uns zu. Die Türkei ist einfach großartig!

Der nächste Tag ist Rüdigers Geburtstag. Er wird eingeläutet mit einem besonderen Kaffee im Gümrül Hanı, der alten Karawanserei mitten im Basar. Heute ist es das stimmungsvollste Café der Stadt.




Menengiç kahvesi ist ein kaffeeähnliches Getränk aus gerösteten Pistazienbaumsamen. In kleinen Tassen serviert, mit gehackten Pistazien bestreut, ist es eines der wunderbarsten Köstlichkeiten, die wir je getrunken haben.



Wir sitzen auf Polsterbänken im Innenhof der Karawanserei, durch den ein Bach flließt und genießen den kahvesi und die Atmosphäre.



Dann gehen wir auf die Suche nach Çişköfte, das hier besonders gut sein soll.

In einer kleinen Lokanta werden wir fündig.



Der Wirt zeigt uns wie es geht. Die leicht scharfe Masse aus rohem Rindfleisch und Tomatenpaste mit Gewürzen wird auf den dünnen Fladen gestrichen, mit Gemüse belegt, zusammengerollt – fertig. Es schmeckt wirklich gut und dazu gibt es hausgemachten Ayran, den ich inzwischen richtig gern mag.



Meinen Recherchen zufolge wird Çişköfte nur noch hier aus Rindfleisch hergestellt, in kleinen Mengen, da es leicht in verderblich ist, wird es schnell verbraucht. Im übrigen Land ist es meist aus Kichererbsen, daher ein Gaumenschmaus für Veganer.

Unser Wohnmobil haben wir am Morgen umgeparkt. Es steht bewacht an der Straße vor dem Mosaik Muzesi, näher an der Altstadt.




Auf dem Weg dahin schauen wir am heiligen See vorbei.

Er wird mit Abraham in Verbindung gebracht, der im Islam als Prophet verehrt wird. Er soll hier ins Feuer geworfen, aber durch ein Wunder gerettet worden sein.







Es ist nach wie vor heiß, deshalb beschließt das Geburtstagskind, wir gehen ins Museum. Durchaus zu meiner Freude begeben wir uns auf eine Zeitreise.

Zuerst im Mosaik Museum.






Beim Bau des Atatürk Staudammes wurde 44 Km von Şanlıurfa eine antike Villa ausgegraben, in der sich diese herrlichen, gut erhaltenen Mosaiken befanden. Für sie wurde das größte säulenfreie Bauwerk der Türkei errichtet.



2000 Jahre sind diese Darstellungen der Jagd der Amazonen, des Orpheus und der Götter alt.

Das Mosaik Museum ist Teil des Archäologischen Museums, dessen Sammlung sehr umfangreich ist.




Die verschiedenen Zeitalter betritt man durch eine Art time tunnel.






Wir bekommen einen ersten Eindruck der Kultstätte von Göbeklitepe, die wir morgen besuchen wollen. Im Museum sind zwei der Tempel nachgestaltet.




Wir wandern also von Zeitalter zu Zeitalter und sind fasziniert.










Unser Geist ist nun gesättigt, jetzt ist der Magen dran.

Im Park, rings um die Wasserbecken mit den Springbrunnen gibt es Restaurants. Es ist ausgesprochen angenehm am Wasser im Schatten auf den Polsterbänken zu sitzen.





Wir lassen es uns gut gehen und werden gleich vom Nachbartisch angesprochen. Wieder sind es Deutsch-Türken, die in die Türkei zurückgekehrt sind, wieder werden Telefonnummern ausgetauscht und Einladungen ausgesprochen.

Gesättigt an Geist und Körper machen wir uns auf den Weg.

Göbeklitepe. Das ist die älteste bekannte Kultstätte der Menschheit. 12.000 Jahre ist sie alt und damit eine archäologische Sensation, denn sie ist 6000 Jahre älter als Stonehenge. Die Ausgrabungen, die seit Mitte der 1990er Jahre vom Deutschen Archäologischen Institut durchgeführt werden, werfen die bisherigen Vorstellungen vom Leben in der Steinzeit völlig über den Haufen. Es war anscheinend nicht die primitive, von Hunger und Überleben geprägte Gesellschaft, von der man bisher ausging. Die tonnenschweren Monolithen erzählen etwas ganz anderes.






Wir sind absolut fasziniert. Das hier ist wirklich ein Ort für Gänsehaut.




Etwas oberhalb der Ausgrabungsstätte, an der die Archäologen noch fleißig tätig sind




steht der Wunschbaum. Der Überlieferung nach erfüllt er Wünsche, die zu bestimmten Zeiten in Form von Zetteln oder Tüchern in seine Zweige geflochten werden.



Eine zweite Ausgrabung ist von weitem zu sehen.



Ausgegraben sind bisher etwa 1,5% der 30 Kultstätten, die man hier nachweisen kann. Eine gigantische Anlage. Ich versuche mir den Arbeitsaufwand vorzustellen, der dafür nötig war. Die Wissenschaft hat noch keine Erklärung dafür, warum nach der Fertigstellung alles systematisch zugeschüttet, also förmlich begraben wurde. Aber dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass die Stätten so gut erhalten sind, wie kaum andere.





Der Tag ist halb rum, unser nächstes Ziel ist nicht allzu weit. Nächste Station der Zeitreise ist der Nemrut Dagı. Mit 2150 Metern ist er eine der höchsten Erhebungen des nördlichen Mesopotamiens. Auf seinem Gipfel hat sich der späthellenistische König Antiochius I. ein Grabmal errichten lassen. Und da er sich selbst zum Gott ernannte, wurde das Bauwerk gleichzeitig als Heiligtum gestaltet. Es sollte Zentrum einer neuen Religion sein.




Das Besucherzentrum zu erreichen ist eine Herausforderung für Mensch und Maschine. In steilen Serpentinen und Kurven geht es hinauf bis auf fast 2000m Höhe, unser Motor quält sich im ersten Gang und wird heiß.







Die Aussicht können wir nur bedingt genießen, wir sind damit beschäftigt, zu hoffen, dass der IVECO durchhält. Oben angekommen, müssen wir erst ein Ticket lösen, dann dürfen wir die letzten steilen 2 Kilometer bis kurz unter den Gipfel fahren.




Das Heiligtum ist von dort nur über gefühlte 2000 Stufen zu erreichen. Wir machen uns also auf. Und es lohnt sich, allein der Aussicht wegen.





Die von den Monumentalstatuen übrig gebliebenen Steinköpfe sind wirklich beeindruckend. 






Wir umwandern den künstlich aufgeschütteten Gipfel, der den natürlichen noch um 45m erhöht und in dem eine bisher nicht gefundene Grabkammer vermutet wird.





Der eigentliche Clou hier oben ist der Sonnenuntergang von dem es heißt, es sei der schönste der Türkei. Drei Stunden warten... dazu haben wir keine Lust, also steigen wir wieder hinunter.



Etwa hundert Meter hinter dem Parkplatz unterhalb des Gipfels finden wir einen ebenen Platz. Von hier werden wir den Sonnenuntergang auch sehr schön sehen können.




Die Dolmuş-Busse bringen eine Stunde vor dem Ereignis jede Menge Leute herauf. Oben wird es voll. Wir sitzen gemütlich vorm Auto und genießen die Aussicht.





Keine halbe Stunde nachdem die Sonne weg ist, sind auch die Leute weg. Die letzten Autos hupen und winken uns fröhlich zu, dann sind wir allein auf dem Nemrut mit den Vögeln, einer Grille und den Sternen.

Es wird eine friedliche, erholsame Nacht.

Am Morgen fahren wir vorsichtig die steile Abfahrt wieder runter. Um festzustellen: das Tor am Besucherzentrum ist geschlossen.



 Montag Schließtag? Auf dem Dolmuş Parkplatz warten wir, wie es weitergeht. 



Nach einer halben Stunde kommt die Müllabfuhr, das Tor wird geöffnet, wir werden rausgewunken. Das ist das Erstaunliche und Faszinierende an diesem Land: man kann überall frei stehen und übernachten. Man wird höchstens gefragt, ob alles in Ordnung ist. Wir wissen das sehr zu schätzen.

Unsere Bremsen glühen bei der Talfahrt, irgendwann ist es geschafft, wir sind unten.




Unterwegs halten wir in einem Dorf um einzukaufen. Gegenüber von dem kleinen Supermarkt sitzen ein paar Männer beim Tee. Sie winken uns heran und schon sitzen wir mit ihnen unter dem Maulbeerbaum. Die üblichen Fragen nach W oher und Wohin. Einer von ihnen, führt uns seine paar englischen Wörter vor, wir versuchen unsere paar türkischen Worte an den Mann zu bringen. Die beiden Alten kichern und albern wie Schuljungs. Wir fühlen uns sehr wohl unter diesen netten Leuten. Der eine Alte erzählt mit Hilfe von Zettel und Stift, er sei 77, habe 12 Kinder und 51 Enkelkinder. Er holt seinen Ausweis raus und es stellt sich heraus, er heißt wirklich Kurt. Wieder lachen die Beiden sich scheckig.



Der Junge Mann ist Kurts Sohn und betreibt die Bäckerei, gleich nebenan. Natürlich kaufen wir Brot bei ihm. Fröhlich winkend verabschieden wir uns.



Am Euphrat, hinter der imposanten Brücke, gibt es ein gepflegtes, riesiges Picknickgelände mit Wasser und Mülltonnen. Hier wollen wir die Zeitreisen sacken lassen und verarbeiten.





Gegen Mittag kommen einige wenige Ausflügler, einige am Abend, ansonsten bleiben wir die nächsten zwei Tage allein. Und genießen es.









Das Reisen wäre langweilig, wenn immer alles vorhersehbar wäre. Eine unerwartete Wendung macht uns das wieder einmal deutlich.

Was für eine Wendung das ist und was sie für Folgen hat, erfahrt Ihr, wenn Ihr den nächsten Post lest.


Bis bald also

Doris und Rüdiger




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