Montag, 18. März 2024

Der Schlüssel

 



Wir sind in der Türkei. Schnell ist alles wieder vertraut. Die Preise haben etwas angezogen seit unserer letzten Reise vor zwei Jahren, aber für Europäer ist es immernoch günstig. Der erste Weg führt uns nach Ipsala.




Wir brauchen eine türkische SIM-Karte, denn schon das Navigieren geht am besten online. Bei Vodafon werden wir fündig. Für 50€ bekommen wir drei Monate Internet incl. 20 GB. Aufladen kostet 8€ für 30GB. Zum Vergleich: vor zwei Jahren waren wir mit 30€ dabei. Aber damit können wir leben. Wieder online, gondeln wir die Dardanellen hinunter zur Fähre nach Çannakkale. Die legt gerade an, lädt alle aus, die aus dem asiatischen Teil kommen, um dann alle wieder einzuladen, die genau dort hinüber wollen. Auch hier hat der Preis deutlich angezogen.







Der Stadtverkehr von Çannakkale erfordert hohe Konzentration, Rüdiger muss sich erst wieder auf die türkische Fahrweise einstellen, aber er meistert das hervorragend. Raus aus der Stadt führt uns das Navi durch weite Felder. Auch hier wird unter anderem Baumwolle angebaut. Unser Platz für die erste Nacht befindet sich bei einer stillgelegten Militäranlage oberhalb des Bosporus. Das muss mal was richtig Großes gewesen sein, jetzt holt die Natur sich das Gelände wieder und die Imker haben ihre Bienenstöcke aufgestellt.



Wir wandern hinauf zu den alten Kanonen, kriechen in die verfallenden Bunker und freuen uns, dass wir hier fast alleine sind.











Am Morgen füllen wir unseren Wassertank an einem alten osmanischen Friedhof.









Immer wieder prägen weite Felder die Landschaft. Irgendwann erreichen wir den Stadtrand von Izmir. Dort gibt es wieder eine dieser riesigen Picknick-Areale, die der Staat für seine Bürger als Naherholungsgebiete einrichtet und unterhält. Das Gelände ist schön, sattes Grün unter schattigen Bäumen, aber es gibt Mücken, die einen fast auffressen.

Das Abendessen muss also drinnen stattfinden. Ich bitte Rüdiger aus unserem Heckstauraum etwas Gemüse zu holen, er fragt mich nach dem Schlüssel, denn der hängt nicht am üblichen Haken. So viele Ecken gibt es in unserem relativ kleinen Camper ja nicht, wo so ein Schlüsselbund „erstmal“ abgelegt werden könnte. Wir suchen alles ab, Rüdiger versucht sich zu erinnern, wann er den Schlüssel zuletzt gesehen hat. Er kommt zu dem Schluss, dass es nur an dem Brunnen geschehen sein kann, wo er nach seiner Erinnerung den „Wasserdieb“ aus dem Stauraum geholt hat. Wahrscheinlich hat er das Schlüsselbund auf den Fahrradträger gelegt und dann dort vergessen. Das ist mehr als 200 Km her. Dumm gelaufen. Glücklicherweise habe ich ja das Zweitschlüsselbund auf das wir von nun an gut aufpassen müssen.

Nach einer eher kurzen Nacht gilt es Izmir zu durchqueren. Natürlich geraten wir in den morgendlichen Berufsverkehr. Ganze 1,5 Stunden brauchen wir durch die Stadt, stop and go, Drängler von der Seite, das volle Programm. Über allem hängt eine Dunstglocke, denn die Außenbezirke bestehen aus Gewerbe- und Industriegebieten. Erst als wir die Berge erreichen klärt sich langsam die Luft.







Obststände bieten Orangen und Äpfel feil, die Orangenernte ist auch hier in vollem Gange.





Für eine kurze Übernachtung finden wir mit Hilfe von park4night wieder einen Parkplatz an einem Picknick-Areal, diesmal am Meer.






Lykien ist die Region zwischen Marmaris und Antalya im Süden der Türkei. Lykien war eine Kultur mit eigener Sprache und Schrift und ein Verbündeter von Troja. Es wurde später von einer Reiher kleiner Fürsten beherrscht, die sich befehdeten. Nachdem Alexander der Große das Gebiet erobert hatte, reorganisierte ein Lykischer Bund aus 23 Städten die Verfassung und Versammlung. Hauptstadt dieses Lykischen Bundes war Xantos und der dazugehörige Tempelbezirk Letoon. Beides breitet sich um einen Hügel herum aus. Erhalten sind vor allem ein Theater und einige der Grabmäler. Die Sarkophage stehen auf Säulen.

Der Sage nach flüchtete Leto, die Geliebte des Zeus, vor Hera, dessen eifersüchtiger Gattin, hierher. Die Zwillinge Apollo und Artemis, ihre Kinder, nahm sie mit. Sie wollte sie im Bach Eşen waschen, aber die einheimischen Hirten verwehrten ihr das. Wölfe vertrieben die Hirten und Leto nannte die Gegend Lykien, abgeleitet von Lykos für Wolf.

Die Lykier hatten eine eigene Art mit Belagerungen umzugehen. In mehreren Fällen töteten die Männer ihre Frauen und Kinder, um dann im Kampf selber zu sterben. Nur wenige Familien wurden ins Exil geschickt, um später die Städte wieder aufzubauen und die Kultur zu erhalten. So wurde Xantos in der Antike ein Synonym für den Freiheitsdrang um jeden Preis. 

Nun sind wir auf dem Weg zum Schauplatz dieser Ereignisse. Durch kleine Orte schlängelt sich die Straße zur Ausgrabungsstätte, der Parkplatz ist auch nicht groß. 






Im Kassenhäuschen gibt es anscheinend technische Probleme, so erklärt der zuständige Herr kurzerhand, heute sei der Eintritt frei. Gleich über die Straße liegt das recht gut erhaltene Theater.





Alte Wasserleitungen aus Keramik und Mosaiken, mit Flies vor dem Zerfall geschützt, lugen aus dem Boden.





Eine Prachtstraße führt zur Nekropole.




Dahinter läuft man über einen mit weißen Steinen gekennzeichneten Weg über den Hügel. Sattes Grün und in allen Farben blühende Anemonen säumen den Pfad. Die Idylle ist vollkommen und ich kann mich kaum satt sehen.








Immer wieder treffen wir auf Grabmale, in den Berg gebaut oder auf Säulen, mit schönen Reliefs.






Der Plan war, nach der Besichtigung die Hafenstadt Kaş zu besuchen. Wir haben von einem Stellplatz im Hafen und angenehmen Restaurants gelesen und freuen uns auf einen netten Abend dort. Leider haben wir nicht bedacht, dass das Wochenende vor der Tür steht. Die Stadt ist rappelvoll, die Straßen eng und kurvig und auf dem Parkplatz werden Boote abgeschliffen. Das wird wohl nix.





Der Weg hinaus ist abenteuerlich. Schmale Gassen, die um enge Kurven führen lassen Rüdiger einmal mehr ins Schwitzen geraten. Irgendwie schaffen wir es aber doch hinaus und es findet sich in einer kleinen Bucht, neben ein paar noch geschlossenen Strandbars ein Platz für die Nacht.





Auf dem Weg von dort zurück zur Hauptstraße ist mein geliebter Gatte dann kurz vorm Herzkasper. Die Sträßchen sind nicht nur kurvig sondern vor allem so steil, dass wir befürchten zurückzurollen. Aber mit Schmackes und Rüdigers Fahrkünsten erreichen wir dann am Ende doch die A 400. Ihm zittern die Knie und es braucht eine Weile, bis sein Herzschlag sich normalisiert. Tief unter uns glitzert das Meer, als sei nichts gewesen.

Von diesem Kraftakt müssen wir uns erstmal erholen und steuern einen Campingplatz an, einen der wenigen, die um diese Jahreszeit schon geöffnet haben, und landen in einem Paradies. Das haben wir uns jetzt verdient.

Zwischen Orangenbäumen mit leuchtenden Früchten stehen wir auf einer fetten Wiese. Es gibt heiße Duschen und pro Tag eine Waschmaschine im Preis inbegriffen. Neben uns schreit ein Pfau, gackern Hühner und ein kleiner hübscher Kater beschließt, für die Zeit unseres Aufenthaltes unser Haustier zu sein.







Die Sonne tut ihr Teil dazu, dass wir uns bald pudelwohl fühlen und diesen Ort genießen.



Allerdings müssen wir selber kochen, denn das Restaurant ist noch geschlossen. Für mich ist es eine Herausforderung, mir immerwieder ein Abendessen ausdenken zu müssen. Ich gucke also in die Küchenschubladen, was wir noch so an Vorräten haben. Mein Blick fällt auf etwas Buntes, das irgendwie nicht hierher gehört. Als ich erkenne, was es ist, durchfährt es mich wie ein Stromstoß. Der Schlüssel!!! Wie kommt der in die Küchenschublade? Zunächst zeige ich Rüdiger meinen Fund. Man kann das Gebirge richtig poltern hören, dass von seinem Herzen fällt.



Wir rätseln, wie das Schlüsselbund in die Schublade gekommen sein kann und kommen zu dem Schluss, dass es nur eine Möglichkeit gibt. In einem Ort hat Rüdiger einen der hier oft eingebauten „Drempel“ übersehen und ist voll rübergekachelt. Es gab hinter uns ein heftiges Scheppern und eine der Schubladen war wohl dabei aufgegangen, der Schlüssel vom Haken gehüpft und hineingefallen. Wie auch immer – er ist wieder da. Rüdiger ist wohl ein Glückskind. Erst die Mütze, nun der Schlüssel, die Dinge finden wieder zu ihm zurück. Hurra!

Nach drei Nächten brechen wir wieder auf. Es soll weiter nach Osten gehen.

Seit wir in der Türkei sind, fallen uns riesige Plakate mit den Konterfeis von gesetzten Herren, selten auch Damen auf. Ich recherchiere und erfahre, dass am 31. März in der Türkei Kommunalwahlen anstehen. Aha, deshalb die Plakate. Irgendwann begegnet uns der erste Kleinbus, geschmückt mit dem Porträt eines Kandidaten und dem Wahlslogan seiner Partei. Bald treffen wir unterwegs auf Busse aller Größen, die nicht nur Bilder und Sprüche spazieren fahren, sondern auch aus Lautsprechern mit ohrenbetäubend lauter Musik die potentiellen Wähler beschallen.





Diese Wahlkampfstrategie wird uns später noch öfter begegnen. Wann und wo erzählen wir beim nächsten Mal.

Bis bald also


Doris und Rüdiger

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