Freitag, 19. April 2024

Über dem Abgrund

 



Lautes Hupen, Klappern und Rasseln reißt mich aus dem Schlaf. Ich blinzele vorsichtig nach der Uhr, es ist 5.30 Uhr. Draußen dämmert es, ich schiebe die Jalousie vorsichtig halb herunter und pralle zurück. Keine zehn Meter vor meinem Fenster wird ein großer, rechteckiger Korb von der Ladefläche eines kleinen LKW geladen. Er hängt an einem noch schlaffen Ballon, der auf der Wiese liegt, an deren Rand wir stehen.



Minuten später kommt ein Dolmuş. Ihm entsteigen asiatisch aussehende Touristen, die sich direkt vor meinem Fenster in allen möglichen Posen fotografieren.




Wir wussten ja, dass von dieser Wiese morgens die Ballons starten, aber wir haben nicht damit gerechnet, dass es direkt vor unseren Fenstern passiert.

Udo ist schon draußen, also schäle ich mich aus dem warmen Bett, ziehe eine Jacke an und gehe ebenfalls hinaus. Es ist kalt.

Die Ballonpiloten haben inzwischen Gebläse aufgestellt, die die Ballons mit Luft füllen, später wird die Luft mittels Gasflammen erwärmt.




Nach und nach beginnen die Ballons zu schweben, die Passagiere klettern in die Körbe und die Ballons erheben sich in die Lüfte.




Unsere Wiese ist nur durch eine zweispurige Straße von den berühmten Sinterterrassen getrennt. Sie leuchten im Licht der aufgehenden Sonne wie eine Eiswand. Die Ballons fahren natürlich zuerst dorthin.





Nach einer Stunde liegt die Wiese wieder da, als wäre nichts gewesen. Uns ist inzwischen richtig kalt, wir flüchten in die Wärme unserer Camper.

Die Sinterterrassen kann man auch zu Fuß besichtigen. Udo hat das am Vortag bereits erkundet und festgestellt, dass der Eintritt zu diesem Naturphänomen satte 30 Euro pro Person kostet. Das finden wir denn doch ganz schön happig und begnügen uns damit, die weiße Pracht von weitem anzusehen. Mittels seiner Drohne hat unser Reisegefährte erkundet, dass die Becken sowieso trocken sind. Der schöne optische Effekt, den das blaue Wasser im Kontrast zu den weißen Becken abgibt, ist also gar nicht vorhanden. Die Ablagerungen, über die das Wasser fröhlich plätschert sehen wir im Stadtpark viel besser und näher und das gratis.








Der Ort selbst wirkt noch recht authentisch, trotz der touristischen Ausrichtung. Am Abend finden wir eine nette Lokanta mit hausgemachtem Essen.



Auf dem Rückweg leuchten die Sinterterrassen in vielen wechselnden Farben.



Noch einmal möchten wir so früh nicht geweckt werden, deshalb machen wir uns gegen Mittag auf zur nächsten Attraktion.


Der Ulubey Canyon ist, nach dem Grand Canyon in den USA, der zweitlängste Canyon der Welt. Über 45 Kilometer durchschneidet er die Landschaft Phrygiens.

Wir finden einen Platz oberhalb der Schlucht und haben von dort einen wunderbaren Blick. Wie ein silbernes Halsband umschlingt der Ulubey Bach am Grunde des Canyons den Felsen. Der Fluss mäandert mit den Windungen die die Jahrtausende in den Stein gewaschen haben.





Uns gegenüber gibt es eine gläserne Aussichtsplattform. Dort wandern wir am nächsten Tag hin.





Um sie betreten zu dürfen müssen wir ein Ticket für 20 TL (0,65€) lösen und ein Paar Überschuhe aus dünnem Flies anziehen.




Es ist ein ganz seltsames Gefühl, wenn man sozusagen frei über dem Abgrund schwebt. Glas und Stahlkonstruktion sind mit Sicherheit fest verankert und es besteht keine Gefahr, aber das muss man sich ganz bewusst machen. Wir gehen also hinaus auf die Glasfläche bis zur Brüstung, die Aussicht ist phantastisch, aber das unheimliche Gefühl bleibt. Jedenfalls bei mir. Ich mache ein paar Fotos, versuche nicht an den Abgrund unter mir zu denken, aber mein Bauch lässt sich nicht überlisten. Schnell gehe ich zurück auf die Betonfläche und fühle wieder festen Boden unter den Füßen.





Neben der Teestube, ein Stück weiter, führt eine lange Holztreppe auf halbe Höhe hinab in den Canyon, mündet auf einen Weg auf einem Felsensattel hinüber auf die andere Seite von dem man dann auf einem Pfad den Aşar Tepe besteigen kann.





Zunächst wollten wir nur bis auf den Felssattel, aber dann lockte der Pfad mit immer neuen phantastischen Aussichten und wir stiegen weiter und weiter hinauf.








Irgendwann wurde es steiler und schwieriger, aber ich hatte Blut geleckt und wollte es wissen. Bis etwa 50 Meter unterhalb der Fahne auf dem Gipfel traute ich mich, dann wurde es auch mir zu riskant und ich kehrte um. Aber der Blick von meinem höchsten erreichten Punkt war einfach atemberaubend.



Ich war schon stolz auf mich, das geschafft zu haben. Es waren nur 635 Meter, nicht gerade der Mount Everest, aber für mich war der Schwierigkeitsgrad schon enorm. Auf jeden Fall fühlte es sich gut an.



Erst als wir wieder im Auto saßen, um das nächste Ziel anzusteuern, machte sich die Tour bemerkbar.

Das nächste Ziel war Blaundos, eine antike Stadt am Rande und zum Teil in einen Seitenarm des Ulubey Canyon gebaut.




Von der kleinen Asphaltstraße führt ein gepflasterter Weg zu den Ruinen, der mit Betonblöcken abgesperrt ist.



Den Schildern entnehmen wir, dass die Archäologen hier noch viel Arbeit haben und erst ein Teil der Anlage zu sehen ist. Dieser Teil allerdings ist faszinierend.








Von Weitem sehen wir am Steilhang, einige wenige Überreste eines Amphitheaters, eines Stadions und in die gegenüberliegenden Felsen gehauene Grabstätten. 1200 soll es davon geben, eine riesige Nekropole.



Udo macht sich mit Buba und seiner Drohne auf dorthin. Wir begnügen uns mit den oben liegenden Ruinen.





Die Nacht verbringen wir sehr ruhig vor den Betonblöcken.

Langsam nähert sich unsere Zeit in der Türkei dem Ende. Der Plan ist, diesmal aus der Türkei direkt nach Bulgarien einzureisen. Das heißt, wir werden den Bosporus viel weiter nördlich überqueren, als auf der Hinreise.

Auf dem Weg dahin, der nun durch das Inland und nicht mehr an der Küste entlang führen wird, gibt es noch Einiges zu entdecken.


Von den wunderbaren Dingen, die wir noch sehen, bevor wir die Türkei verlassen, berichten wir im nächsten Post.


Bis bald also

Doris und Rüdiger