Mittwoch, 8. Mai 2024

Bukarest - Reise in unsere Vergangenheit, Teil I

 




Auch in Rumänien fahren wir zuerst einen Badeort am Schwarzen Meer an. Vama Veche bedeutet, grob übersetzt, alte Zollstation. Der Campingplatz Cortina Gate Camping in Vama Veche liegt nur zwei, drei Kilometer hinter der Grenze an der Straße. Wir sind die einzigen Gäste.



Man steht unter Schattendächern, hat eine Badzelle für sich allein, bis zum Strand ist es nur kleiner Spaziergang.






Auch in Vama Veche bereitet man sich überall auf die kommende Saison vor. Es wird gebaut, gestrichen, geräumt, gemäht und gehämmert. Vor den Mini-Supermärkten und den Restaurants stehen Lieferwagen und Kistenstapel, aber noch ist alles geschlossen.

Eine schmale Promenade führt am Steilufer entlang, das zum Ort hin in einen schönen Strand übergeht.








Das Wetter hat umgeschlagen, die große Hitze ist vorbei, es nieselt immer Mal wieder. Zwei Nächte bleiben wir auf dem Campingplatz, dann machen wir uns auf Richtung Bukarest.

Über fast 150 Kilometer sind wir nur durch Felder gefahren, große, gut bestellte Felder. Es duftet nach Raps, das leuchtende Gelb wechselt sich ab mit sattem Grün und warmem Braun.





Kurz vor Bukarest übernachten wir an einer Polizeistation, am nächsten Morgen fahren wir sehr früh hinein in die rumänische Hauptstadt.





Auf einem großen Parkplatz finden wir um diese Zeit noch einen ruhigen Platz in der hinteren Ecke. Er grenzt an einen riesigen Park, ein Naherholungsgebiet mitten in der Großstadt. Später füllt er sich mit Ausflüglern und Sportlern.

Das öffentliche Nahverkehrsnetz in Bukarest ist weit verzweigt und gut organisiert. Wir erwerben ein Touristenticket für drei Tage. Damit sind wir beweglich.




Als wir vor 42 Jahren mit dem Fahrrad durch Rumänien fuhren, war unsere Endstation Bukarest. Den gigantischen Präsidentenpalast gab es damals noch nicht. Wo er jetzt steht war damals Altstadt. Ein Erdbeben richtete größere Schäden an, Ceauşescu nutzte die Gelegenheit, ließ einen großen Teil der Altstadt abreißen um sein größenwahnsinniges Projekt bauen zu lassen, das er „Haus des Volkes“ nannte. Heute heißt er Parlamentspalast und ist Sitz der rumänischen Abgeordnetenkammer. Nach dem Pentagon ist es das zweitgrößte Verwaltungsgebäude der Welt.

Wir laufen also durch ein Neubaugebiet, das an unseren Parkplatz grenzt, zur Metro und fahren zum Parlamentspalast.






Dieses Bauwerk ist unglaublich. Allein die Empfangshalle ist so groß wie ein Fußballfeld. Dort gibt es eine Kunstausstellung und irgendwie finden wir dann auch einen Informationsschalter.





Man teilt uns mit, dass man das Gebäude nur mit einer Führung besichtigen darf, einen Termin oder ein Ticket dafür kann man uns nicht geben, Buchungen sind nur telefonisch und einen Tag vorher möglich. Außerdem gibt es die Führungen nur in allen möglichen Sprachen, aber nicht in Deutsch. So wild sind wir denn doch nicht auf das Innere dieses Monsterpalastes, also laufen wir einfach einmal drum herum.







Am Ende sind das dann ungefähr vier Kilometer. Auch der Boulevard und die Straßen ringsum sind im Stil des „sozialistischen Klassizismus“ errichtet. Uns erinnert das sehr an unsere Berliner Karl-Marx-Allee. Nur dass die nicht so monströs ist.






Nach dieser Erinnerung an einen größenwahnsinnigen Diktator, begeben wir uns zu einer ganz persönlichen Erinnerungsstätte. Wieder mit der Metro fahren wir zum Gara de Nord, dem Hauptbahnhof. Von hier traten wir vor 42 Jahren, nach unserer Radtour, die Heimreise an.



Den Bahnhof durch einen der offiziellen Eingänge mit einem Fahrrad zu betreten war offenbar nicht vorgesehen. Ein Bahnbeamter bewachte jeweils die Zugänge und wies uns zurück. Wir mussten aber hinein, um unsere Fahrräder zum Zoll zu bringen, denn von dort wurden sie nach Berlin gebracht. So standen wir mit unseren Rädern vor dem Eingang und diskutierten zunächst mit einem dort postierten Kondukteur. Der Mann war Staatsbeamter und im Recht und es führte kein Weg hinein.




Wir waren verzweifelt. Was tun? Rüdiger wollte einfach durchschieben, der Beamte hielt das Rad von der anderen Seite fest und so schoben die Männer das Fahrrad hin und her.

Irgendwann erbarmte sich ein Rumäne mit Deutschkenntnissen unser und führte uns erst halb um den Bahnhof herum und dann durch einen Seiteneingang in den Bahnhof hinein.



Endlich konnten wir unsere Räder am Zoll aufgeben, das Gepäck in der Gepäckaufbewahrung lassen und uns in der Stadt noch ein wenig umsehen.




Allzu weit trauten wir uns nicht weg, denn wir mussten ja zurück in den Bahnhof. Wir suchten uns in der Bahnhofshalle eine abgelegene Ecke, wo wir uns mit unseren Schlafsäcken hinlegten und tatsächlich auch schliefen.

Die Ecke gibt es noch, wenn auch inzwischen renoviert.



Wir erkennen einige Ecken wieder, der Bahnhof als solcher hat sich nicht verändert. Er ist nach wie vor ein Sackbahnhof, die Anordnung der Bahnsteige ist die gleiche wie 1982, auch die Wartesäle erster und zweiter Klasse existieren noch und sind genauso trostlos wie damals.





Was sich grundlegend verändert hat, sind die vielen Fastfood Läden und Reklametafeln, die den Bahnhof geradezu überschwemmen.



Wir schlendern herum, gehen auf den Bahnsteig und plötzlich ist es, als wären wir wieder Mitte zwanzig, alles ist spannend und das Leben liegt vor uns mit all seinen Möglichkeiten.




Diese Leichtigkeit begleitet uns die nächsten zwei Tage, in denen wir Bukarest erkunden, ein Bukarest, das wir damals nicht gesehen haben.






Die rumänische Hauptstadt ist eine skurrile Mischung aus Monumentalbauten im Zuckerbäckerstil und angejahrten sozialistischen Neubauten. Die Stadt ist pompös und minimalistisch, großspurig und sachlich, weitläufig und ländlich, auf jeden Fall spannend.









Von einer lieben Freundin hatte ich den Tipp bekommen, den größten Friedhof der Stadt zu besuchen, er sei unbedingt sehenswert. Friedhöfe erzählen ja immer ein Stück Stadtgeschichte und sagen Einiges über die Mentalität der Menschen aus. Also bemühen wir den Stadtplan und stellen zu unserer Freude fest, dass der Friedhof in der Nähe des Parks liegt, zu dem unser Parkplatz gehört.

Am nächsten Morgen schlendern wir also durch besagten Park, fahren eine Station mit der Metro und sind da.




Das Wetter hat sich unserem Vormittagsprogramm angepasst, es tröpfelt. Der Cimitirul Şerban Voda, umgangssprachlich auch Cimitirul Bello, benannt nach dem Woiwoden Radu Şerban Voda und dem Baron Barbu Bellu, die das Grundstück um 1855 der Stadtverwaltung zur Nutzung als Friedhof stifteten, ist genauso monumental wie die Stadt ringsum. Eigentlich besteht er aus drei Teilen: einem orthodoxen, einem später dazugekommenen katholischen und einem muslimischen.





Dieser Friedhof ist wirklich etwas Besonderes. Schon von Anfang an bestattete vor allem die Prominenz ihre Angehörigen auf diesem Friedhof. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Von Anfang an kostete es viel Geld, dort eine Grabstelle zu bekommen. Eine drei Quadratmeter große Grabstelle in mittlerer Lage kostete dort 2009 zwischen 4000 und 5000 Euro, wobei die Kosten für die Arbeiten noch nicht inklusive sind. Da das Areal begrenzt ist, ist jeder Quadratzentimeter belegt, es gibt bis heute lange Wartelisten und die „Grundstückspreise“ auf dem Friedhof gelten als die teuersten in Bukarest.

Wir schlendern also über diesen exklusiven Gottesacker, staunen und sind beeindruckt. Danke, Gisela!


















Irgendwann hört es auf zu nieseln, wir steigen wieder in die U-Bahn und fahren in die Altstadt. Das angeblich schönste Gebäude Bukarests, das Athenäum, gilt es zu besichtigen.




Dort findet gerade eine Studienabschlussfeier statt, so dass wir es nur von außen ansehen können. Was uns vollkommen genügt.



Schon hundert Jahre vor dem Diktator wurde in Bukarest pompös gebaut. Vorbei an der Universität, dem Reiterstandbild Karol I. laufen wir an den imposanten Gebäuden vorbei zur Passajul Macca.




Vom Stil her an die Leipziger Mädler Passagen erinnernd, ist sie lediglich eine hufeisenförmige Restaurantmeile. Nun haben wir auch das gesehen.




Wieder im Internet hat Rüdiger ein Restaurant gefunden, in welchem man noch einheimische Küche bekommt, was in Bukarest nicht einfach ist. Moderne Imbisse und Fastfood-Ketten reihen sich aneinander, unterbrochen von internationalen Restaurants, vor allem Pizza-Läden.

Wir laufen also ein paar Kilometer durch weitläufige Straßen, um dann letztendlich im „Buçata Rasul“ zu landen.



Minimalistisch, aber pfiffig eingerichtet, entpuppt es sich als Treffpunkt der Fans eines einheimischen Handballvereins. Wir werden vom netten, sehr gut Englisch sprechenden Wirt im Vereinszimmer platziert und nicht enttäuscht.





Gesättigt und etwas ausgeruht fahren wir zurück zum Parkplatz, der zu früher Abendstunde noch immer gut belegt ist. Erst nach 23.00 Uhr leert er sich merklich und wir verbringen ruhige Nächte.

Unser dritter Tag in Bukarest führt uns, wieder bei Nieselregen, ins älteste Altstadtviertel. Hier gibt es eine wunderschöne Buchhandlung.







Nachdem wir uns dort gründlich umgesehen haben









besuchen wir nur ein paar Häuser weiter das Museum „little Paris“.




Um die vorletzte Jahrhundertwende war es in den besseren Kreisen üblich, seine Kinder zum Studium nach Paris zu schicken. Die brachten die französische Sprache und Lebensart mit nach Bukarest und bald war alles Französische chic.

Aus dieser Epoche haben die Gründer des Museums alles zusammengetragen, was sich finden lies und damit eine entzückende Altbauwohnung mit Stuckdecken und knarrendem Parkett ausgestattet.

Möbel, Kleidung, Haushaltsgegenstände und Accessoires aller Art sind über die Räume verteilt, es gibt sogar ein Badezimmer.













Nach diesem Ausflug in eine vergangene Epoche, kehren wir zurück in die Gegenwart, in der es noch immer regnet. 










Wir suchen uns ein volkstümliches Restaurant, was hier, wo sich eines ans andere reiht, natürlich touristisch ist, aber wir essen gut.



Die Metro bringt uns anschließend wieder zu unserem Park zurück.




Es ist ungewöhnlich, dass wir drei Tage in einer Großstadt aushalten, aber Bukarest ist einerseits ein Band zu unserer gemeinsamen Vergangenheit, andererseits eine absolut faszinierende Stadt voller Gegensätze, wie wir sie so noch nicht gesehen haben.

Aber nun ist es doch genug. Durch den morgendlichen Berufsverkehr, der uns noch einmal genug Zeit zum Beobachten lässt, verlassen wir die rumänische Hauptstadt.







Dabei fällt uns auf, dass es so gut wie keine rechtwinkligen oder spitzen Ecken gibt. Sie sind entweder schräg oder rund.









Irgendwann habe ich mal gelesen, dass die Architektur das Gemüt der Menschen wesentlich beeinflusst. Vielleicht fließt der Verkehr, trotz des hohen Fahrzeugaufkommens, deshalb so relativ entspannt.

Wie auch immer, nach etwa anderthalb Stunden liegt die Stadt hinter uns, Felder säumen die Straße.

Wir sind auf dem Weg zum zweiten Teil unserer persönlichen Zeitreise.

Und wieder nehmen wir Euch gerne mit.


Bis bald also

Doris und Rüdiger